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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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»Ich habe die Hütte durchsucht und eins seiner Lieblingsgewehre
gefunden — eine ziemlich ausgefallene Enfield, unverwechselbar, weil seine
Initialen in das Schloß graviert sind.« Er nahm das Gewehr hinter dem Rucksack
hervor und reichte es Hy.
    Hy drehte es in den Händen. Fuhr mit
den Fingern über die Initialen und verzog das Gesicht. »Es kann aber auch sein,
daß er die Hütte hier aufgegeben hat.«
    »Er würde nie ohne dieses Gewehr hier weggehen.
Und außerdem war der Ofen noch warm, als ich kam.«
    »Das heißt noch nicht, daß er demnächst
wiederkommt. Vielleicht ist er ja sogar den ganzen Winter über weg. Siebzehn
Tage sind eine lange Zeit.«
    Walker begann wieder zu husten. Als er
aufhörte, rasselte und pfiff sein Atem tief in seiner Brust. Ich sagte: »Sie
müssen zum Arzt. Wir bringen Sie gleich morgen früh nach Ely.«
    »Aber Stirling —«
    »Wir werden dem FBI mitteilen, wo er
sich zuletzt aufgehalten hat, und alles Weitere denen überlassen.«
    Walkers Lippen zuckten, und er schaute
weg, ganz eindeutig nicht mit diesem Plan einverstanden. Hy starrte wie hypnotisiert
auf Stirlings Gewehr, schien gar nicht mitzukriegen, daß ich ihn ansah. Als er
schließlich etwas sagte, war es an Walker gerichtet. »Das mit der Maule haben
Sie aufgegeben?«
    »Vor ein paar Tagen, als ich anfing,
mich wirklich mies zu fühlen.«
    »Wovon haben Sie sich ernährt?«
    »Ich hatte ein bißchen was dabei, und
als das weg war, habe ich Stirlings Vorräte geplündert. Das letztemal war ich
gestern dort, und da war mir klar, daß ich es nicht noch mal bis dahin schaffe.
Zum Glück sind Sie hier aufgetaucht.«
    »Wieso sind Sie nicht in die Hütte
umgezogen? Das wäre doch bequemer gewesen.«
    »...Na ja, falls Dune zurückgekommen
wäre, wollte ich nicht, daß er Rauch aus dem Kamin steigen sieht. Der Holzherd
ist die einzige Heizmöglichkeit dort, und der Kerosinofen hier ist zu schwer,
um ihn den ganzen Weg zu schleppen.«
    »Verstehe.«
    Irgendwas stimmt hier nicht, und Hy
spürt es auch, dachte ich. Walker zitterte jetzt. Hy stand auf, faltete die
Decke, auf der er gesessen hatte, auseinander und hielt sie ihm hin. Walker
nickte dankend und wickelte sie fest um seinen Oberkörper.
    »Gibst du mir mal unsern Rucksack
rüber?« sagte Hy zu mir. Ich tat es, und er zog eine Halbliterflasche Whiskey
heraus, die ich ihn in der Hütte gar nicht hatte einstecken sehen. »Hier,
trinken Sie was.« Er streckte sie Walker hin.
    Walker nahm sie, schraubte sie auf und
trank, wobei seine Zähne klappernd gegen das Glas schlugen.
    Plötzlich war ich hundemüde. Ich wollte
nichts weiter, als mich hinlegen und in einen traumlosen Schlaf sinken. Aber
das ging nicht — nicht an diesem trostlosen Ort, nicht mitten in dieser
endlosen, eisigen Nacht.
    Ich sagte zu Walker: »Wir wissen, daß
Winthrop Reade und Calder Franklin Sie auf dem Flugplatz von Los Alegres
entdeckt haben. Was hat Reade da zu Ihnen gesagt?«
    »Er sagte, er habe sich oft gefragt,
was aus mir geworden sei. Ich habe ihm erklärt, ich hätte jetzt ein neues Leben
und nicht vor, je wieder nach Arkansas zurückzukehren. Ich habe ihn gebeten,
keinem Menschen zu sagen, daß er mich gesehen hatte, und er hat’s versprochen.«
    »Aber dann sahen Sie Cal Franklin...«
    »Und da bin ich einfach durchgedreht.
Ich dachte, bei Win könnte ich mich drauf verlassen, daß er niemandem was sagt,
aber bei Cal war mir klar, daß er diese Information gegen mich verwenden würde,
daß er’s vielleicht sogar schaffen würde, Dune ausfindig zu machen und ihm
mitzuteilen, wo ich war. Als ich ihn sah, ist der ganze alte Horror wieder
aufgeflackert. Der Tod meiner Frau — Sie wissen davon?«
    Ich nickte.
    Walker nahm einen weiteren Schluck
Whiskey. »Das lief immer wieder vor mir ab. Wie ein Film: Andie, wie sie uns
zuwinkt, Andie, wie sie zusammensackt. Und dann kam wie die Vorschau auf die
nächsten Filmhits: Zach, Matty. Ich konnte nicht zulassen, daß das passiert.«
Er hörte seine eigenen Worte, und Schmerz verzerrte sein Gesicht; die Hälfte
davon war passiert. Ehe er fortfuhr, setzte er die Flasche wieder an.
    »Es war zehn Jahre her. Ein volles
Jahrzehnt. Ich fühlte mich sicher. Ich war glücklich, Himmelherrgott! Und wenn
man sich so fühlt, dann lassen die Abwehrmechanismen nach, und die
Erinnerungen, die man so lange weggedrängt hat, schleichen sich in die Träume.
Ein paar Wochen, bevor Cal und Win auftauchten, hatte ich diesen Traum, daß
Dune und ich auf so einem

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