Am Ende der Nacht
»Mag ja sein, daß er sich das
alles eingeredet hat — daß er Stirling dem FBI übergeben oder zu einem Deal
zwingen würde aber in Wahrheit ist er aus demselben Grund hergekommen wie wir.
Er wollte ihn töten.«
»Ja.«
»Also, was stimmt nicht an der Sache?«
»Irgendwas, aber ich kriege es nicht zu
fassen. Ich bin zu müde, um klar denken zu können, und ich bin froh, daß es ihn
umgehauen hat. So kann er uns wenigstens keine Scherereien machen.«
»Trotzdem, wir sollten ihn im Auge
behalten. Ihm paßte die Idee gar nicht, dem FBI zu sagen, wo sich Stirling
aufgehalten hat, und... ich weiß nicht. Ich traue ihm nicht und kann ihn nicht
leiden.«
»Ich auch nicht.«
»Also schlafen wir umschichtig. Ich
übernehme die erste Wache und wecke dich dann später.«
Ich gähnte und lehnte den Kopf an seine
Schulter. »Und sobald es hell wird, verschwinden wir von hier.«
Wir schwiegen beide. Ich schloß die
Augen, aber das Flackern der Petroleumlampe spiegelte sich auf den Innenseiten
meiner Lider. Meine Gedanken wanderten träge von einem Geschehnis des Tages zum
nächsten, ohne irgendeinen Zusammenhang herzustellen. Nach einem Weilchen
fragte Hy: »Dieses Racheding, McCone? Wenn wir Stirling vor uns gehabt hätten,
hätten wir ihn getötet?«
»Vermutlich.«
»Was sagt das über uns aus?«
»Ich weiß nicht genau, was es über uns
aussagt. Vielleicht, daß wir menschliche Wesen sind, nur daß uns das, was wir
erlebt haben, kälter und härter gemacht hat als die meisten Menschen. Ich weiß
aber, was es über unsere Gefühle den Dune Stirlings dieser Welt gegenüber aussagt
— und über unsere Gefühle den Mattys gegenüber.«
23
Ich wachte auf, weil ich dringend
pinkeln mußte. Die Petroleumlampe blakte, und im Hangar war es kalt. Ich lehnte
immer noch an der Wand, aber Hy lag zusammengerollt auf der Seite, das
gerzauste Haupt auf den Arm gebettet. Soviel zum umschichtigen Schlafen, dachte
ich. Ash Walkers Atem rasselte laut.
Ich rutschte von meinem Teil der Decke
und schlug ihn um Hy. Der regte sich nicht. Als ich aufstand, protestierten
meine eingerosteten Gelenke, so daß ich mich erst mal dehnte und streckte. Dann
ging ich nach Walker sehen. Seine Stirn war feuchtheiß, Haar und Kleider waren
schweißgetränkt. Lungenentzündung, oder jedenfalls kurz davor.
Als ich das Hangartor öffnete, sah ich,
daß es immer noch dunkel war, aber im Osten hoben sich die Baumkronen schwarz
von einem leicht lilastichigen Himmel ab, und hoch über ihnen hing der
Morgenstern. Wir waren fast am anderen Ende dieser langen Nacht, und der Himmel
versprach für diesen Tag klare Luft und nahezu unbegrenzte Sicht. Wenn die
Cessna nicht zu tief eingeweht war, würden wir früh losfliegen können, zu
irgendeinem Flugplatz, in dessen Nähe sich eine Klinik befand. Und sobald wir
Walker dort abgeliefert hatten, würden wir das FBI anrufen — Moment mal. Es gab
eine einfachere Möglichkeit, ihm die dringend nötige ärztliche Hilfe zu
verschaffen.
Bis ich mir die Hälfte meiner
sensibleren Körperteile abgefroren hatte, stand mein Plan. Während Hy und
Walker noch schliefen, würde ich um den See zu der Holzabfuhrstraße marschieren
und über das Funkgerät der Cessna 172 Arrowhead rufen. Sie konnten einen
Rettungshubschrauber direkt hierher zur Landebahn schicken, und bis er kam,
würde ich wieder zurück sein.
Dieses Ziel ließ die Vorstellung, so
früh am Morgen eine lange, kalte Wanderung durch den Schnee zu unternehmen,
fast schon erträglich scheinen.
Ich ging wieder in den Hangar und
fummelte vorsichtig die Schlüssel der Cessna aus Hys Jeanstasche. Sah noch mal
nach Walker, nahm die Extra-Jacke, die ich gestern abend auf dem Weg von der
Hütte hierher getragen hatte, und legte sie über ihn. Dann fand ich einen Block
und einen Kugelschreiber in einer Sitztasche der Maule und schrieb einen
erklärenden Zettel, den ich, mit einem Schraubenschlüssel beschwert, neben Hy
auf dem Boden hinterließ. Auf dem Weg nach draußen griff ich mir die Stablampe,
ein bißchen Trockenfleisch und ein Tütchen Studentenfutter.
Der Schnee war grau im
Vordämmerungslicht und bildete stellenweise hüfthohe Wehen. Der Wind hatte sich
gelegt; lastende Stille umgab mich. Ich ging auf die Bäume zu, die die
Uferlinie markierten, und hielt mich links davon. Im Strahl meiner Taschenlampe
glitzerte der Schnee, und das harte Knirschen meiner Schritte sagte mir, daß es
mindestens zwanzig Grad minus hatte, aber die extreme
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