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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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zu meinen Füßen.
Ein schwachsinnig aussehendes Keramikzicklein mit einem Stechpalmenzweig im
Maul und schmächtigen Beinchen unter dem pummligen Rumpf griente mich an. »Mit
diesem Zeug bestimmt nicht.«
    Ted ignorierte diese Bemerkung. »Wer
ist denn dein kleiner Freund da?« Er zeigte durch die offene Tür dorthin, wo
Zach über dem Geländer eines der Verbindungsstege zum anderen Gebäudeteil
lehnte. Trotz des schwindelnden Abgrunds war der Junge ganz entspannt. Er
kickte mit einem Fuß zwischen den Stangen hindurch und pfiff tonlos vor sich
hin.
    »Jemand, den ich hoffentlich übers
Wochenende bei Anne-Marie und Hank unterbringen kann.«
    »Schlechtes Timing — die sind vor einer
Stunde zum Lake Tahoe gefahren. Habiba haben sie bei Rae und Ricky gelassen.«
    »Verdammt!« Na ja, vielleicht konnte
Zach ja auch dort bleiben. Hy und ich waren heute abend bei den beiden zum
Essen eingeladen, um unser Höllenweihnachten zu planen, also würde ich ihn
einfach mitnehmen. Was mich daran erinnerte, daß ich spät dran war. Ich reichte
Ted ein Foto von John Seabrook, das mir Matty gegeben hatte. »Könntest du das
vielleicht auf dem Heimweg bei diesem Fotografen in der Howard Street
vorbeibringen?«
    »Kein Problem. Duplikate?«
    »Ein Dutzend.«
    »Wird schon gehen.«
    »Danke. Schönes Wochenende.«
    »Moment!«
    »Was?«
    »Wegen dem Wettbewerb — du hast recht,
das meiste von diesem Krempel hier ist nicht verwendbar. Deshalb sammle ich
Geld für neue Sachen.«
    »Ich bin kein Goldesel.«
    »Geizkragen.«
    Ich seufzte. »Wieviel?«
    »Für die Chefin scheint mir ein
Zwanziger angemessen.«
    »Zwanzig Dollar!«
    »Du willst doch auch, daß wir Ehre
einlegen, oder?«
    »Wenn ich dir zwanzig Dollar gebe, dann
kauf gefälligst eine verdammt gute Dekoration.« Ich kramte das Geld aus meiner
Handtasche und gab es ihm widerstrebend. »Was ist der erste Preis?«
    »Eine Spende von allen anderen für eine
karitative Einrichtung unserer Wahl.«
    Ich gab so ein Schnauben von mir, auf
das der alte Ebenezer Scrooge stolz gewesen wäre, und ging in Micks Büro.
     
    »Klar«, sagte mein Neffe, »ich mache
mich heute noch an diese Seabrook-Sache.« Er lümmelte in seinem Drehstuhl, die
langen Beine auf seinem Papierkorb, eine Hand auf seinem Power Book. Sein
Verhältnis zu diesem Ding, das letztlich nichts weiter als ein Gebilde aus
Silikonchips und Plastik ist, kam mir immer schon ziemlich unnatürlich vor,
aber ich schätze die Ergebnisse, die er diesem Teufelsapparat entlockt.
    Plötzlich ging mir auf, daß es sehr
ungewöhnlich für Mick war, so spät noch im Büro zu sein, erst recht an einem
Freitag. »Wie kommt’s, daß du noch hier bist?«
    »Konnte mich einfach noch nicht
aufraffen, die Straße runterzuspazieren.« Er bewohnte jetzt Raes früheres
Apartment im Bay-Crest-Komplex, ein kurzes Stück den Embarcadero runter.
»Triffst du dich heute nicht mit Keim?« Charlotte Keim war meine neueste
Mitarbeiterin und die ältere Frau in Micks Leben — sechsundzwanzig Jahre
gegenüber seinen zarten neunzehn, aber sie erklärte, er »mache ja auf älter«.
Sein Mund zuckte, und er beugte sich über die Notizen, die er sich zu Seabrook
gemacht hatte, so daß ich nur noch seinen blonden Oberkopf sah. »Lottie ist mit
jemand anderem aus.«
    »Wem?«
    »Woher, zum Teufel, soll ich das
wissen? Sie ist ein freier Mensch, sie kann machen, was sie will.«
    »Mick, ist alles okay?«
    »Ach, verpiß dich, Shar.«
    »Nein, mal im Ernst —«
    »Alles klar — okay? Wenn ich diesen
ganzen Scheiß verkraftet habe, der letzten Sommer über meine Familie
reingebrochen ist, werde ich es garantiert auch verkraften, wenn Lottie ein
paar kleine Spielchen spielt. Und jetzt verzieh dich und laß mich arbeiten.«
     
    »Du wärst auch außer dir«, sagte meine
Schwester, »wenn dein Mann gerade bei dir reinspaziert wäre und sich mit zweien
von deinen Kindern davongemacht hätte.«
    »Charlene, beruhige dich.« Ricky als
Kindesentführer? Wieso sollte er so was tun? Er und Charlene hatten das
gemeinsame Sorgerecht. »Erzähl mir genau, was passiert ist.«
    Zischendes Lufteinziehen, dann Stille.
Charlene rauchte Dope — was sie aufzugeben geschworen hatte, weil Vic in dieser
Hinsicht streng war.
    »Okay, er war fast die ganze Woche in
L.A., im Zenith-Apartment.« Zenith Records war die Plattenfirma, die Ricky
dieses Jahr mit zwei Partnern gegründet hatte.
    »Und?«
    Sie zog wieder an dem Joint. Ich
trommelte mit den Fingern auf meinem Schreibtisch

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