Am Ende der Nacht
Wirklichkeit wollte sie mich anheuern, aber wie sie nun mal ist, konnte sie
nicht direkt damit rausrücken.« Ich hob an, ihnen alles zu erklären, aber in
den Tiefen meiner Handtasche, die ich auf der Arbeitsfläche abgestellt hatte,
piepte plötzlich mein Handy los. Das Handy war das Geschenk meiner Belegschaft
zu meinem Vierzigsten gewesen — ein Versuch, mich an die kurze Leine zu legen,
argwöhnte ich. Einen Moment lang war ich versucht, nicht dranzugehen, aber dann
fischte ich es heraus und klappte es auf. »McCone?« Wieder Matty.
»Ja. Was gibt’s?«
»Viel, aber ich kann im Moment nicht
drüber reden. Ich bin auf dem Flugplatz, wo die Show stattfinden soll, und
versuche gerade, jemanden zu finden, der mich zum Motel mitnimmt. Hier sind
alle möglichen Leute vom Kunstflugclub und... Meinen Sie, Sie könnten
herkommen?«
»Heute abend noch?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich muß
Ihnen etwas zeigen, was ich in meiner Maschine gefunden habe. Ich könnte Ihnen
ein Zimmer im Motel buchen, das Sponsoren-Essen abkürzen und Sie dort treffen.«
In ihrer Stimme war etwas Hartes, was
ich noch nie gehört hatte — und auch ein Hauch von Panik. »Moment.« Ich hielt
die Muschel zu und fragte Hy: »Was hältst du davon, nach Sacramento
raufzufliegen, damit ich Matty heute abend noch treffen kann?«
»Geht nicht.« Er gestikulierte mit der
Bierdose.
»Ich fliege. Ich habe nichts
getrunken.«
»Okay. Ich leiste dir gern
Gesellschaft.«
Ich sagte Matty, wir würden beide
möglichst schnell kommen. Dann entschuldigte ich mich bei Rae und Ricky für
unseren vorzeitigen Aufbruch und ging nach oben, um Zach zu sagen, daß ich weg
mußte. Als ich an die Tür zum Solarium kam, fand ich ihn und Habiba im
Schneidersitz auf dem breiten Rand des Whirlpools, das leere Olivenglas
zwischen sich. Sie hatten die kleinen Spots an der Decke angeknipst; in der
spiegelnden Fensterscheibe sah ich sie die Köpfe zusammenstecken und angeregt
miteinander reden. Habiba sprach rasch und leise: »...echt schrecklich. Erst
meine Mom, dann meine Großmutter und meine Nanny und dann mein Dad. Alle weg.
Immer, wenn ich gedacht habe, es kann nicht mehr schlimmer kommen, ist doch
noch was Schlimmes passiert.« Zach sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte.
»Ja, war’s auch. Aber ich hatte Leute,
die mir geholfen haben. Sharon und Hy. Anne-Marie und Hank. Und jetzt hab ich
auch noch Ricky und Rae, wenn ich sie brauche.«
Wieder sagte er leise etwas.
»Doch, hast du. Du hast diese Matty.
Und Sharon ist auch auf deiner Seite, das merkt man. Das heißt, daß du all die
anderen auch hast. Und...« Sie sah verlegen weg. »Und du kannst immer mit mir
reden, wenn du magst.«
Ich ging und überließ Zach der Obhut
dieses kleinen Mädchens, das so unendlich weise für sein Alter war.
4
Eine Aufziehpuppe aus Plastik.
Der Vergleich schoß mir in den Sinn, als
Matty Hy und mir die Tür ihres Motelzimmers öffnete. Ich versuchte ihn
wegzuschieben — schließlich war das hier Matty, eine der selbstbewußtesten und
dynamischsten Frauen, die ich kannte aber das Bild wollte nicht verschwinden.
Der starre Blick, das maskenhafte Gesicht, die unnatürlichen Bewegungen — das
alles erinnerte an einen Automaten mit einer Schneckenfeder im Inneren, die
ihn, einmal entsichert, ruckend und wackelnd ins Verderben marschieren lassen
würde.
Mir nickte sie kurz zu. Von Hy ließ sie
sich umarmen, stand aber stocksteif da.
Ich setzte mich auf einen Stuhl neben
einem runden Tischchen und kramte in meiner Tasche nach meinem
Voice-Control-Recorder. Hy umarmte kaum je jemanden außer mir, und ich brauchte
einen Moment, um die alten Fragen, die beiden betreffend, zum Verstummen zu
bringen.
Das Motel war von der Sorte, die sich
vorwiegend um Freeway-Abfahrten schart, in diesem Fall um die Abfahrt vom
Interstate 5, ein paar Meilen nordwestlich der Hauptstadt des Bundesstaats.
Während die Halle einigen Western-Kitsch aufwies — Kakteen, Wagenräder und
rustikale Möbel aus Aststücken — , war Mattys Zimmer neutral eingerichtet und
jeder Gegenstand entweder am Boden oder an der Wand verschraubt. Ein Ort zum
Übernachten, wenn man weiter nichts verlangte als ein bißchen Sauberkeit.
Hy riß mich aus der Betrachtung einer
gerahmten Serie bedeutungsloser Farbkleckse, indem er sich zu mir an den Tisch
setzte. Matty saß auf der Bettkante. Ihr Gesicht war so passiv, daß ich für
einen Moment vergaß, was ich sie hatte fragen wollen. »Okay«,
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