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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Luft und explodierte.
    »Jetzt reicht’s!« schrie sie.
    Lisa erstarrte, einen Fuß in der Luft.
Molly, die die ältere und ergo die Anführerin war, kam schliddernd auf den
blanken Dielen zum Stehen. Sie drehte sich um und fragte: »Was?«
    »Ich sagte, es reicht! Ihr macht uns
alle wahnsinnig mit diesem Gerenne. Laßt das jetzt bleiben!«
    Molly sah ihre Schwester an. Die beiden
wechselten einen finster-verschwörerischen Blick. Dann straffte sich Molly zu
ihrer vollen Kindergröße, auf eine rotzig-hochmütige Art, die mich lebhaft an
Charlene im selben Alter erinnerte.
    »Du hast mir gar nichts zu sagen«,
verkündete sie. »Du bist nicht meine Mutter!«
    Au Backe, dachte ich, in der Erwartung,
daß Rae in Tränen ausbrechen und aus der Küche stürzen würde.
    Doch sie überraschte mich — uns alle.
Als Ricky sich von dem Hackblock abstieß, um seine Tochter am Schlafittchen zu
packen, stoppte Rae ihn mit einer Handbewegung und sah die beiden Mädchen
streng an. Dann richtete sie sich ebenso kerzengerade auf wie Molly und dräute
von der ganzen Höhe ihrer einsfünfundfünfzig auf sie herab.
    »Ich bin vielleicht nicht deine Mutter,
junge Dame«, sagte sie, »aber ich bin das Alpha-Weibchen in diesem Haus. Und
das gibt mir das Recht« — sie legte eine unheilschwangere Pause ein und hob den
Arm, als wolle sie ihn auf Molly niedersausen lassen — »dich zu foltern!«
    Ehe Molly sich rühren konnte, hatte Rae
sie an den Oberarmen gepackt, umgedreht und in einen Klammergriff genommen.
Meine Nichte wand sich und schrie empört. Rae hob sie so weit hoch, daß ihre
strampelnden Füße überm Boden hingen. Dann mischte sich das Schreien mit
Kichern; Rae kitzelte sie.
    Ich sah Lisa an. Sie hatte sich an den
Küchenschrank zurückgezogen, und ihr Gesicht war eine Studie zum Thema Schock
und Neid. Rae hatte ihre Reaktion ebenfalls bemerkt. »Komm her, Lisa«, rief
sie. »Hilf mir. Sonst« — sie streckte eine Hand aus und ließ Molly los, die in
Richtung Wohnzimmer floh — »entwischt sie noch!«
    Eine Sekunde zögerte Lisa. Dann grinste
sie und faßte Raes Hand. Gemeinsam machten sie sich an die Verfolgung.
    Ricky schloß die Augen. »Gott steh uns
bei.«
    Drei Paar Füße trappelten durchs
Wohnzimmer. Neuerliches Kreischen und Quieken. Dann verkündete Rae vom anderen
Ende des Raums aus: »Okay, ich habe gewonnen! Runter mit euch — in den Kerker!«
    Noch mehr Geschrei, das dann von einer
zuknallenden Tür erstickt wurde.
    Stille. Wonnige Stille.
    »Kerker?« sagte Habiba mit geweiteten
Augen. Zach sah ähnlich entsetzt drein.
    Ricky verwuschelte Habibas Haar und
grinste Zach an. »Keine Folterkammer, Kids. Nur das Souterrain; es ist
schalldicht, weil ich dort unten mein Probestudio habe. Ein guter Platz, um die
beiden unterzubringen, findet ihr nicht?«
    Habiba lächelte überlegen. Wenn sie
hier übernachtete, durfte sie immer in einem der oberen Gästezimmer schlafen.
    Zach verschränkte die Arme, lehnte sich
neben Habiba an den Hackblocktisch und gab sich möglichst lässig. An mich
gewandt, sagte er: »Primitive Kultur — kann man wohl sagen.«
    Ich ging zu Hy hinüber und lehnte kurz
die Stirn an seine Schulter. »Und?« fragte er und strich mir übers Haar. »Was
gibt’s Neues im Ermittlungsbüro McCone?«
    Ich wußte, er fragte sich, was Zach
hier machte. Ich hatte seine Anwesenheit noch nicht richtig erklärt. Ich
schüttelte den Kopf, um zu signalisieren, daß ich vor den Kindern nicht darüber
sprechen wollte, und sagte: »Nicht viel.« Und an Ricky gewandt, setzte ich
hinzu: »Charlene hat mich vorhin angerufen.«
    »Zweifellos, um sich darüber zu
beschweren, daß ich ihr Lisa und Molly entführt habe.«
    »Eher, um sich darüber zu beschweren,
daß die anderen nicht mit wollten. Sie hat Jamie als kleines Arschloch
bezeichnet.«
    Er lächelte leise. »Charly hat die
Worte noch nie auf die Goldwaage gelegt, oder? Jamie nimmt die Scheidung
schwerer als die anderen, und sie tut mir leid, aber ich habe alles versucht,
um an sie ranzukommen. Als sie im Oktober hier war — du und Red, ihr wart da
gerade an dieser Sache in Oregon — , da habe ich ihr angeboten, meine
American-Express-Karte zu nehmen und sich ein paar schöne Sachen für ihr Zimmer
zu kaufen. Sie hat gesagt, sie brauche keine ›Scheißsachen‹, weil sie sowieso
nie mehr wiederkommen würde. Und dann hat sie das ganze Wochenende schmollend
vor der Glotze gesessen.«
    Hy fragte: »Und Brian?«
    »Im Cyberspace verschollen — seine

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