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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sah
kaum auf, als ich sagte, ich hätte meinen Schlüssel zu Zimmer 211 verlegt. Er
griff einfach nur an das Bord, wo die Zweitschlüssel hingen. Ich nahm den, den
er mir reichte, und ging rasch zu Hy zurück.
    Er stand stocksteif da und starrte auf
den Großbildfernseher, der in dem fast leeren Raum lief. Mein Blick wurde von
den Sensationsbildern eines Sondernachrichtenspots angezogen: emporquellender
Rauch, verbogene Wrackteile, Feuerwehrleute beim Löschen. Dann wurde die
Horrorszene durch ein Werbefoto von Matty abgelöst. Ich stöhnte auf und wandte
mich ab. Hys Gesicht blieb starr. Er legte den Arm um mich, als wir
hinausgingen. »Glaubst du, im Programm für die Bay Area bringen sie das auch?«
fragte ich.
    »Höchstwahrscheinlich. Hast du schon
mal erlebt, daß sich das Fernsehen eine richtig gute Katastrophenstory entgehen
läßt?«
    »Mein Gott, wenn Zach das sieht! Er
soll es nicht auf diese Weise erfahren!«
    »Ruf besser an und warne Rae oder
Ricky.«
    Ich fischte mein Handy heraus und
wählte ihre Nummer, während wir um den Motel-Pool herumgingen. Rae meldete sich
mit zittriger Stimme. Als ich anhob, den Grund meines Anrufs zu erklären, sagte
sie: »Zu spät. Die Kinder haben herumgezappt und gerade den Nachrichtenspot
gesehen.«
    »Verdammt! Wie hat Zach reagiert?«
    »Schockiert. Er ist auf die Terrasse
rausgerannt und steht jetzt dort am Geländer und starrt aufs Wasser. Ricky will
ihm einen Moment Zeit lassen und dann versuchen, ihn zu trösten.«
    »Der arme Junge! Hör mal, wir sind hier
gleich fertig. Ich werde direkt zu euch kommen und gucken, ob ich etwas tun
kann.«
    »Okay, wir erwarten dich. Shar, was
wird jetzt mit Zach?«
    Gute Frage. Da John Seabrook, soweit
bekannt, keine Angehörigen hatte, mußte Zach eigentlich dem Jugendamt übergeben
werden, bis es gelang, seinen Vater ausfindig zu machen. Aber diese Form des
Verlassenseins konnte ich einem sensiblen Jungen in einer solchen
Extremsituation nicht zumuten — schon gar nicht, wenn ich allen Grund zu der
Annahme hatte, daß sein Leben bedroht war. »Ich weiß, es ist viel verlangt —«
    »Nein, ist es nicht. Er ist hier
willkommen, solange er einen Unterschlupf braucht. Weißt du, du solltest
vielleicht Hank oder Anne-Marie einschalten. Zach sollte doch wohl einen
Rechtsbeistand haben, jemanden, der für seine Interessen eintritt, falls sein
Vater nicht wieder auftaucht.«
    »Gute Idee. Wir reden weiter drüber,
sobald Hy und ich zurück sind.« Ich unterbrach die Verbindung, als wir vor der
Tür von Nummer zii ankamen. Matty
hatte das Zimmer noch behalten, weil sie vorgehabt hatte, sich vor dem Rückflug
nach Los Alegres noch etwas auszuruhen. Als ich den Schlüssel ins Schloß
steckte, fragte ich Hy: »Was genau suchen wir eigentlich?«
    »Seabrooks Brief. Matty hat das Lamm
mit in die Maschine genommen, aber ich vermute, daß sie den Brief hiergelassen
hat. Der Brief war ihr unheimlich, und sie hat bestimmt gedacht, es bringt
Unglück, ihn mit an Bord zu nehmen.«
    »War sie wirklich so abergläubisch?«
    Er trat achselzuckend ein. »Nicht
abergläubischer als du oder ich.«
    »Ich bin nicht abergläubisch.«
    »Nein? Warum trägst du dann dieses
Stück Koralle, das Hank dir aus Hawaii mitgebracht hat, immer im Portemonnaie
mit dir herum? Warum packst du es automatisch um, wenn du das Portemonnaie
wechselst?«
    »...Keine Ahnung. Gewohnheit?«
    »Würdest du ohne das Ding fliegen?«
    »Ich würde nicht mal ohne das Ding über
die Straße gehen.«
    »Da siehst du’s.«
    Das Zimmer war nachmittäglich warm und
stickig. Das Zimmermädchen war dagewesen, aber auf dem Tischchen stand noch ein
halber Becher Kaffee. Ein T-Shirt mit einem Bild von Beryl Markham und dem
Aufdruck »Frauen gehört die Hälfte des Himmels« hing über einem der Stühle. Ich
schaute schnell weg.
    Hy ging geradewegs zu dem Seesack, der
auf der niedrigen Kommode stand, grabbelte darin herum und förderte Seabrooks
Brief zutage. Er reichte ihn mir und suchte weiter.
    »Wir haben den Brief, Ripinsky. Laß uns
heimfliegen und uns um Zach kümmern.«
    »Moment noch. Da ist er ja.« Er hielt
ein schwarzes, ledergebundenes Notizbuch hoch. »Mattys Terminkalender.«
    Ich nahm ihn und blätterte die letzten
paar Wochen durch. »Hör dir das mal an. Mittwoch, fünfzehn Uhr: ›Dr. Sandler
wg. John.‹«
    »Was für ein Doktor?«
    »Steht nicht da.«
    »Und warum hat sie ihn wegen Seabrook
konsultiert?«
    Ich schüttelte den Kopf und steckte
Notizbuch und Brief in

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