Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
hatten.«
    Stimmte das? Oder wollte er sich nur
selbst einreden, daß er nichts für das konnte, was passiert war? Nein, er war
jemand, der immer die Schuld auf sich nahm, wenn er einen Fehler gemacht hatte.
Aber vielleicht hatte er ja etwas übersehen? Nein, er hatte sein Leben lang mit
Flugzeugen zu tun gehabt. Ihm wäre nicht die kleinste Kleinigkeit entgangen,
nicht, wenn es um die Sicherheit eines Menschen ging, der ihm viel bedeutete.
    »Es könnte ein Pilotenfehler gewesen
sein«, sagte ich. »Sie war so gestreßt —«
    »McCone, dieser letzte Looping war für
Matty ein Kinderspiel. Sie war nicht gestreßt genug, um einen solchen Fehler zu
machen — du hast doch gesehen, wie sie den Rest ihres Programms hingekriegt
hat.«
    »Aber was dann...?«
    »Irgendwas ist im Cockpit passiert.
Etwas, was sie gerade lange genug abgelenkt hat.«
    Ich hielt die Luft an. Vor meinem inneren
Auge flackerten Bilder auf, wie es wohl für sie gewesen sein mußte. Das war
mehr, als ich verkraften konnte — als ich je würde verkraften können. Ich
schüttelte den Kopf, um sie zu verscheuchen.
    »McCone?«
    Ich sah Hy an. Tief in seinen Augen war
ein zorniges Glimmen. Unter der Isolierschicht des Schocks fühlte ich dasselbe
Glimmen in mir um sich greifen.
    »Ripinsky, wir sollten mit den Leuten
von der Verkehrssicherheitsbehörde reden —«
    »Nein, wir reden mit niemandem.« Sein
Blick suchte mein Gesicht ab — wonach? Ich wußte es nicht, aber gleich darauf
hatte er es offenbar gefunden. »Wir reden mit niemandem«, wiederholte er sanft,
»weil ich nicht will, daß mir irgendwelche Beamten in die Quere kommen. Weil
ich nämlich selbst rausfinden werde, wer Matty das angetan hat. Und wenn ich’s
rausgefunden habe, bringe ich das Schwein um.«
    Er würde es tun. Das wußte ich. Er
hatte schon Menschen getötet.
    Ich schloß die Augen, um aus dem
Strudel der Emotionen herauszukommen. Konzentrierte mich einzig und allein auf
die Tage und Jahre, die hinter uns lagen, die Tage und Jahre, die wir noch vor
uns hatten.
    Dann sagte ich, aus Gründen, die nichts
mit Matty und alles mit Hy zu tun hatten: »Ich bin an deiner Seite.«

Drei
Jahre zuvor
     
    »Wie ist unsere Höhe, McCone?«
    »...neunhundert Fuß.«
    »Und unsere Geschwindigkeit?«
    »Außer Kontrolle.«
    »Und wie sollte sie sein?«
    »Fünfundsechzig .«
    »Und in welcher Höhe sollten wir jetzt
beim Endanflug sein?«
    »Ein ganzes Ende tiefer.«
    »Und was machen Sie nun?«
    » Vollgas und noch eine Runde.«
    »Bravo!«
    »Das macht Ihnen wohl Spaß, was?«
    »Es würde mir noch viel mehr Spaß
machen, wenn Sie die Vergaservorwärmung abschalten und diese Klappen einfahren
würden .«
    » Ui! Ich wußte doch, ich habe was
vergessen.«
    »Schon gut. Erst Gas geben, dann alles
andere. Okay — wissen Sie, was Sie gerade gemacht haben?«
    »...Ich weiß nicht genau, was Sie
meinen .«
    »Als Sie sich für eine weitere
Platzrunde entschieden haben, haben Sie Urteilsvermögen bewiesen. Mit etwas
Nachhilfe meinerseits natürlich.«
    »Meine Güte, Matty, ich treffe jeden
Tag Entscheidungen — und die meisten sind gar nicht so übel.«
    »Aber die treffen Sie nicht auf dem
linken Sitz eines Flugzeugs, im Endanflug. Das war eine Premiere. Also, wollen
Sie nicht noch mal versuchen, die Kiste runterzubringen?«
    »Okay... Los Alegres, hier Cessna
drei-zwo-Sierra, erneuter Landeanflug.«
    »Sie müssen wissen, McCone, das A und O
beim Fliegen — der Kern der ganzen Sache — ist ein klares Urteilsvermögen. Sie
entscheiden in der jeweiligen Situation nach bestem Wissen und Gewissen, und
dann setzen Sie Ihre Entscheidung um — ohne Zögern. Und wenn das den Abbruch eines Starts oder einer Landung
bedeutet, dann kümmern Sie sich nicht drum, was die Leute da unten auf der
Diner-Terrasse von Ihnen denken. Tun Sie’s einfach, ohne Rücksicht auf Ihren
Stolz.«
    »Reden wir jetzt gerade vom Fliegen?
Oder vom Leben?«
    »Was glauben Sie? Hey, sieh mal an —
ein perfekter Gleitpfad. Sie sind schon so gut wie unten.«

 
     
     
     
    Zweiter Teil

23. - 27. November
     
     

7
    »Ich versuche den Schlüssel zu Mattys
Zimmer zu kriegen«, sagte ich zu Hy.
    Er nickte und stellte sich in den
Eingang zur Motelbar. Ich ging durch die leere Halle zum Empfangstresen. Der
schockbedingte Isoliermechanismus funktionierte wieder; ich fühlte mich so
ruhig und zielgerichtet, als sei das alles eine ganz normale Aktion im Zuge
einer Routineermittlung. Der Portier las die Zeitschrift People; er

Weitere Kostenlose Bücher