Am Ende der Nacht
Schreckliche
Tragödie. Sie war so eine nette Frau. Als sie nebenan einzogen, war ich gerade
in einer sehr schlimmen Phase. Meine Frau hatte mich verlassen, und ich war
verzweifelt — nicht mehr ganz richtig im Kopf, um ehrlich zu sein. Marie Fuller
hat alles für mich getan: mir einen Eintopf gebracht, wenn sie gemerkt hat, daß
ich nicht ordentlich aß, mich ab und an zum Essen eingeladen. Ron hat mir
geholfen, meinen Anleger nach einem Sturm wieder zu reparieren. Und der kleine
Junge war so ein Schatz; sie haben ihn beide vergöttert. Ich kann mir nicht
vorstellen, daß Ron Billy einfach im Stich läßt.«
»Er hat es vielleicht nicht freiwillig
getan. Hatten die Fullers auch noch Kontakt zu irgendwelchen anderen Nachbarn?«
»Nein, ich war der einzige, bei dem sie
eine Ausnahme gemacht haben. Ich nehme an, mir gegenüber fühlten sie sich
sicher. Im großen und ganzen bin ich ein harmloser Bursche, und sie haben
gespürt, daß ich auch Schlimmes durchgemacht hatte.«
»Was meinen Sie mit ›Schlimmes
durchgemacht‹? Bezogen auf die Fullers?«
»Ich bin nie genau dahintergekommen,
aber da mußte irgendwas gewesen sein, was sie extrem ängstlich gemacht hatte.
Sie blieben immer in der Nähe des Hauses, außer um die nötigsten Besorgungen zu
machen. Die Fensterläden waren immer zu, die Türen auch. Sie haben sogar auf
ihrer Glasveranda Jalousien angebracht. Ich war, offen gestanden, erstaunt, daß
Ron mir mit dem Anleger helfen wollte, und mir ist aufgefallen, daß er sich
immer nach den vorbeifahrenden Booten umgeschaut hat, als könnte ihm irgendwer
etwas tun wollen.«
»Hat er je mit Ihnen über diese Ängste
geredet?«
»Nein. Ich hatte mich gerade entschlossen,
das Thema mal anzuschneiden, als Marie erschossen wurde und Ron und Billy
verschwanden.«
»Haben Sie Ron nach dem Mord noch mal
gesehen? Mit ihm geredet?«
»Ich hab’s versucht. An dem
betreffenden Nachmittag habe ich gerade einen alten Film im Fernsehen geschaut,
als plötzlich die Meldung eingeblendet wurde. Natürlich bin ich sofort rüber zu
Ron, um zu gucken, ob ich was tun kann. Da kam ein Mann an die Tür. Er sagte,
er sei Rons Bruder und habe alles im Griff.«
»Komische Ausdrucksweise. Können Sie
ihn beschreiben?«
»Ungefähr so alt wie ich jetzt —
neunundvierzig. Kurzes blondes Haar, glattrasiert, beiger Busineßanzug. Da war
weiter nichts Auffälliges an seinem Äußeren oder seiner Art zu reden, aber er
kam mir irgendwie komisch vor. Ron hatte nie was davon gesagt, daß er einen
Bruder hier in der Gegend hatte, und der Mann sah ihm nicht besonders ähnlich.«
»Sie haben das Haus also gar nicht
betreten?«
»Nein, hab ich nicht. Da stand ein
grauer Buick in der Einfahrt, mit hiesigem Kennzeichen. Ich bin wieder
heimgegangen und habe rübergeguckt. Ein paar Minuten drauf kamen der Blonde und
ein dunkelhaariger Mann mit Koffern aus dem Haus und luden sie in den Buick.
Dann sind Ron und der Junge mit dem Blonden weggefahren. Es sah nicht aus, als
würden sie gezwungen, aber ich habe mir trotzdem so meine Gedanken gemacht. Der
Dunkelhaarige ging wieder rein; nach einer Viertelstunde schleppte er ein paar
Kartons zu Rons Wagen raus und fuhr damit los. Und das war das letzte, was ich
von den Fullers gesehen und gehört habe.«
Ich dachte über das Szenario nach, das
er geschildert hatte. »Mr. Simmons, war die Polizei bei Ihnen, um Sie über die Fullers
zu befragen?«
»Ja, eine Viertelstunde, nachdem der
zweite Mann das Haus verlassen hatte.«
»Haben Sie den Polizisten von dieser
Sache erzählt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich wollte wohl Ron und den Jungen
schützen. Der Beamte, der mich befragt hat, hat angedeutet, Ron habe vielleicht
irgendwas mit Maries Tod zu tun, und ich wußte, das konnte nicht sein. Als
jemand, der eine Ehe hinter sich hatte, in der die Liebe einseitig war, hatte
ich ein Auge für echte wechselseitige Gefühle. Ron hat Marie sehr geliebt.«
Ich dachte an den Ehering, der immer
noch bei Fullers Schätzen lag, und nickte. »Wissen Sie, wer der Vermieter der Fullers
war?«
»Eine hiesige Immobilienmaklerin namens
Suzie Kurth. Sie hat eine eigene Firma, Kurth und Partner, am Boulevard.«
Ich dankte Simmons für die Zeit, die er
mir gewidmet hatte, und er brachte mich zur Tür, aber als ich erst mal draußen
war, schien es ihm schwerzufallen, mich gehen zu lassen. »Wissen Sie«, sagte
er, »Maries Tod hat mich sozusagen wachgerüttelt. Vorher war ich
Versicherungsagent, immer unter Dampf, um
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