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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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gepriesen.«
     
     
     
     

10
    Montag morgen, Gulf Haven, Florida
     
    »Normalerweise würde ich sagen, machen
Sie, daß Sie aus meinem Büro und meinem Zuständigkeitsbereich verschwinden«,
erklärte Lieutenant Mack Gifford vom Police Department von Gulf Haven. »Ich
kann Privatdetektive nicht leiden, und Ihre kalifornische Lizenz können Sie
sich hier an den Hut stecken.« Während ich innerlich meine Antwort formulierte,
sah ich zu, wie der Lieutenant eine Zigarette aus einem Päckchen auf seinem
Tisch schüttelte und in seiner Hemdtasche nach einem Feuerzeug fischte. Er war
schlank und drahtig, mit einem schmalen Gesicht und einem schmallippigen Mund,
den tiefe Mißmutsfalten einklammerten. Sein weicher Südstaatenakzent — aus
einem der Grenzstaaten vielleicht? — milderte die Härte seiner Worte, nicht
aber die Intensität dessen, was ich in seinen dunklen Augen sah und für mühsam
kontrollierten Zorn hielt.
    »Sie sagen ›normalerweise‹?«
    »Ja.« Er blies einen Rauchstrom zur
Decke seines kleinen Büros empor. »Aber Sie sagen, Sie interessieren sich für
den Fall Marie Fuller, und das verbindet uns. Lassen Sie mich noch mal
rekapitulieren: Sie suchen einen Mann, von dem Sie glauben, daß er Ron Fuller
ist und unter falschem Namen in Ihrem Bundesstaat gelebt hat. Eine Routinesuche
nach einem abgängigen Schuldner.«
    »So ist es.«
    »Er muß ja einen Haufen Schulden
zurückgelassen haben, daß Sie den ganzen weiten Weg hierher machen.«
    »Mein Klient ist ein wohlhabender
Rechtsanwalt, und ich muß gestehen, daß mich die Sache gepackt hat, nachdem ich
die frühere Identität des Vermißten aufgedeckt hatte. Zumal seine Frau ermordet
wurde.«
    Giffords Miene war neutral; ich konnte
nicht ablesen, ob er mir meine Story abnahm oder nicht. Als er nichts sagte,
half ich ihm auf die Sprünge. »Sie haben damals die Ermittlungen geleitet...«
    »Mein Pech, daß es gerade mich
getroffen hat. Der Fall ist mir seit über zehn Jahren ein Dorn im Fleisch —
schmerzhaft genug, daß ich bereit bin, meine Regeln zu brechen und mit Ihnen zu
reden.« Er stieß sich vom Schreibtisch ab, schwenkte mit seinem Drehstuhl ein
Stück zur Seite und schaute auf das Rauchen-verboten-Schild an der Wand.
»Wobei«, setzte er mit einer schiefen Grimasse hinzu, »ich meine Regeln öfters
breche.«
    Ich lächelte leise und wartete ab.
    »Wir haben hier jede Menge Regeln,
Gesetze und dergleichen«, fuhr Gifford fort. »Den meisten brauchen wir nicht
groß Geltung zu verschaffen. Wir haben die üblichen Probleme mit Drogen und den
Desillusionierten, aber das ist es auch schon im großen und ganzen.«
    »Das mit den Drogen verstehe ich ja,
die sind überall. Aber wieso Desillusionierte?«
    »Ms. McCone, was wissen Sie über
unseren Ort?«
    »Nur das, was ich beim Reinfahren
gesehen habe.«
    »Dann will ich Ihnen was erzählen, was
diese Fuller-Sache vielleicht ins rechte Licht rückt. Gulf Haven ist einer
dieser Orte, aus denen niemand stammt. Vor dreißig Jahren war es praktisch noch
nicht existent. Die Gegend hier hat nicht viel zu bieten, nicht mal die
Golfküste, nur den Fluß. Aber dann kam irgendwann diese
Erschließungsgesellschaft, kaufte billig Land auf, baggerte die Kanäle aus,
baute überall Häuser mit Privatanlegern. Leute, die die Winter droben im Norden
satt hatten, schlugen zu: Rentner natürlich, aber auch junge Leute und
Familien.
    Die Rentner kommen hierher und stellen
fest, daß das Alltagsleben in Florida nicht so ist wie der Urlaub, in dem sie
am Hotelpool in Miami oder Lauderdale gesessen und exotische Rumdrinks
geschlürft haben. Statt dessen besteht das Leben aus Hitze und Langeweile und
dem Warten auf den monatlichen Besuch des Schädlingsbekämpfers, der die
Kakerlaken vertilgen soll. Viele von diesen Leuten hängen nur noch in den
klimatisierten Einkaufszentren rum, andere gehen buchstäblich an Resignation
zugrunde, und eine beträchtliche Zahl bringt sich auf die eine oder andere
Weise selbst um. Die Jüngeren kommen dahinter, daß die Arbeitsmarktsituation in
diesem Teil des Staats lausig ist; sie müssen Jobs annehmen, die sie droben im
Norden nie für sich in Betracht gezogen hätten. Die Schlauen treiben
Schadensbegrenzung, packen ihre Sachen und gehen wieder zurück. Die Dummen — da
heißt das Ergebnis Suff, Drogen und eheliche Gewalt, was zu einer hohen Rate an
Tötungsdelikten führt.«
    »Höher als anderswo?«
    »Acht, neun Prozent über dem
Durchschnitt. Selbstmordpakte, Frauen, die

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