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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ging noch mal seine
Einkaufsliste durch, teilte sich die wöchentliche Aufgabe mit der heiteren
Selbstverständlichkeit, die glückliche gemeinsame Jahre mit sich bringen. Ein
Ladengehilfe schubste einen Einkaufswagen präzise in eine lange Schlange von
Artgenossen, die er in den Supermarkt zurückschieben wollte, und erntete dafür
ein Lächeln von einer hübschen Blondine.
    Alle taten sie jene vielen kleinen
Dinge, die das Gewebe unseres Alltags ausmachen — ohne sich darüber im klaren
zu sein, wie schnell dieses Gewebe durch einen Eingriff wie einen einzelnen
Schuß zerfetzt werden kann.
    Plötzlich überkam mich ein solches
Gefühl der Isolation, daß sich ein dumpfer Schmerz unter meinem Brustbein
ausbreitete. Ich sah auf meine Armbanduhr. In fünfzig Minuten ging ein Flug
nach Miami. Ich konnte ihn kriegen, dann in die Nachmittagsmaschine nach San
Francisco umsteigen. Nach Hause zurückkehren, Hank erklären, daß John Seabrook
unauffindbar war, ihm das Problem Zach überlassen. Hy sagen, daß wir diese
verbissene und potentiell gefährliche Aktion aufgeben mußten. Wieder ein
normales Alltagsleben führen.
    Klar. Und Katzen können unbeschadet aus
dem neunten Stock fallen.
    Ein normales Alltagsleben war eine
Illusion, jedenfalls für mich. Vielleicht hatte ich so was Ähnliches gehabt,
als ich ein rotwangiges Cheerleader-Mädel auf der High-School gewesen war. Doch
selbst damals hatten meine federnden Bewegungen, mein strahlendes Lächeln und
meine kecken kleinen Manierismen nur private Dämonen kaschiert. Und am Ende war
mir die Anstrengung zuviel geworden; meine Fassade war an dem Tag ins Bröckeln
gekommen, an dem ich mein letztes Rad geschlagen hatte.
     
    »War gar nicht leicht, Craig
rumzukriegen«, sagte Adah Joslyn, »und reden will er mit dir nur persönlich.«
    »Wo und wann?«
    »Heute abend um acht, in der Raffles
Bar in Georgetown.« Sie nannte mir die Adresse, in der Nähe vom DuPont Circle.
»Schaffst du das?«
    »Ich kriege sicher noch rechtzeitig
einen Flug von Miami nach Washington.«
    »Dann sage ich also zu. Ruf mich an,
wenn was dazwischenkommt.« Sie zögerte. »McCone, irgendwas ist mit Craig. Ich
kriege es nicht zu fassen, aber wir telefonieren immer ein paarmal wöchentlich,
und er ist so... anders.«
    »Wie?«
    »Einfach anders. Guck mal, ob du’s auch
merkst und vielleicht dahinterkommst, was es ist. Um ehrlich zu sein, ich habe
irgendwie Angst um ihn.«
     
     
     
     

11
    Montag abend, Washington
     
    Adah hatte recht: Craig Morland hatte
sich wirklich verändert. Als ich die dunkle kleine Bar in Georgetown betrat,
dachte ich zunächst, der FBI-Agent hätte mich versetzt. Doch dann sah ich einen
schlanken Mann in Trainingsanzug und Joggingschuhen von einem der Hocker
steigen und auf mich zukommen. Ich hatte Morland noch nie anders als mit Anzug
und Krawatte gesehen, selbst wenn er nicht im Dienst war, und schon gar nicht
kannte ich ihn mit Schauzbart und wilder sandfarbener Mähne. Vielleicht ja ein
äußerer Niederschlag innerer Prozesse, aber mit Sicherheit eine Verbesserung
gegenüber dem steifen, ziemlich farblosen Mann, den ich im Frühjahr erlebt
hatte. Warum war Adah besorgt?
    Doch dann ergriff ich seine
ausgestreckte Hand und sah ihm in die Augen. Sah vermutlich genau das, was sie
spürte, konnte es aber ebensowenig benennen wie sie.
    Morland bestellte mir ein Glas Wein und
sich noch einen Scotch, und wir gingen mit unseren Gläsern zu einer Sitznische
ziemlich weit hinten. Als er sich setzte, sah er sich um, als wollte er sich
vergewissern, daß wir garantiert außer Hörweite der anderen Gäste waren. Dann
beugte er sich über den Tisch und sagte leise: »Also, was sind das für Fragen,
von denen Sie Adah gesagt haben, ich würde sie nicht beantworten wollen?«
    »Zuerst mal würde ich Ihnen gern ein
Szenario schildern.«
    Ich erzählte ihm detailliert von dem
Mord an Marie Fuller und dem Verschwinden ihres Mannes und ihres Sohnes.
»Wonach klingt das in Ihren Ohren?«
    Er sagte achselzuckend: »Könnte vieles
sein. Warum fragen Sie mich?«
    »Weil ich glaube, daß die beiden Männer
in Fullers Haus von der US-Justiz waren. Genauer gesagt, vom Marshals Service.«
    »Wieso? Weil der Mann, auf den sich die
Kreditauskunft für den Mietvertrag bezog, für den Marshals Service arbeitete?«
    »Das ist ein Punkt, aber es gibt noch
weitere. Die Fullers benahmen sich, als fürchteten sie Vergeltung für
irgendwas, was sie getan hatten. Mack Gifford sagt, Maries Erschießung

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