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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Verwandte ausgaben. Unter Zurücklassung fast all
ihrer Habe. Ihrer Habe und des Leichnams der Marie Fuller. Wie hatte der Mann,
den Matty als John Seabrook kennengelernt hatte, seine Frau einfach im
Leichenschauhaus liegenlassen können, wenn er andererseits seinen Ehering noch
über zehn Jahre nach ihrem Tod im Samtkästchen aufbewahrte? Er hatte keine
andere Wahl gehabt.
    Ich blieb noch ein paar Minuten reglos
sitzen, während sich ein Gedanke in meinem Kopf herausschälte. Dann nahm ich
mein Handy heraus, entschlossen, diesen Gedanken dem Menschen zu unterbreiten,
auf dessen Urteil ich am meisten vertraute. Aber Hy war weder bei mir zu Hause
noch im RKI-Büro in San Francisco. Ich probierte es in meinem Büro, dann bei
Rae und Ricky, für den Fall, daß Hy Zach besucht hatte. Niemand hatte ihn
gesehen. Doch als ich schließlich im Nord-Terminal des Flugplatzes von Oakland
anrief und mit einem Freund von uns sprach, der dort arbeitete, erfuhr ich, daß
Hy heute früh abgeflogen war.
    »Sichtflug?« fragte ich.
    »Sichtflug, und er wollte nicht recht
damit rausrücken, wohin. Alles, was er gesagt hat, war ›bißchen in der Gegend
rum‹.« Jetzt war ich besorgt. Ich rief rasch in unserem Häuschen an. Keiner da.
Dasselbe auf Hys Ranch am Lake Tufa. Hy war unterwegs und hüllte sich in
Schweigen — immer ein schlechtes Zeichen.
    Aber daran konnte ich jetzt auch nichts
ändern. Ich ging eine innere Checkliste durch und rief dann meine Freundin Adah
Joslyn beim Morddezernat des Police Department von San Francisco an.
    »McCone! Lebst du noch? Du mußt ganz
schön außer Form sein; ich habe dich seit Wochen nicht mehr im Fitneßcenter gesehen.«
    »Ich war mit Arbeit eingedeckt. Hör
mal, hast du noch Kontakt zu Craig Morland?« Morland war ein FBI-Agent aus
Washington, der vor etlichen Monaten vorübergehend nach San Francisco
abgestellt worden war. Er hatte Joslyn sehr geholfen, als sie sich selbst in
ernsthafte Schwierigkeiten gebracht hatte, und ich vermutete, nur die
Entfernung hat verhindert, daß ihre Beziehung intimer wurde.
    Sie sagte spitz: »Wie geht’s dir,
Adah?«
    »Oh, danke, mir geht’s gut, McCone.«
    »Tut mir leid, daß ich so lange nichts
von mir habe hören lassen, Adah.«
    »Ach, schon gut.«
    »Es tut mir leid, okay? Aber ich rufe
von meinem Handy aus an, für fünfundsiebzig Cents die Minute plus Ferntarif aus
Florida, und es ist wichtig.«
    »Und ich dachte, du rufst an, um mich
nach meinem Liebesleben auszufragen.«
    Ich sah sie vor mir: in einem ihrer
schicken Outfits, in ihren Drehsessel zurückgelehnt, die langen Beine von sich
gestreckt und übereinandergeschlagen, ein ironisches Lächeln im honigbraunen
Gesicht.
    »Dann hast du also noch Kontakt zu
Craig. Ich muß unbedingt mit ihm reden — heute noch.«
    »Ich gebe dir seine Dienstnummer.«
    »Nein, das reicht nicht. Auf einer
Dienstleitung kann er über das, was ich wissen will, nicht reden, und außerdem
wird er sowieso nicht gewillt sein, mir meine Fragen zu beantworten. Du bist
der einzige Mensch, der ihn dazu kriegen kann.«
    »Tja, wenn’s um Craig geht, bin ich
ziemlich gut im Rumkriegen. Du sagst, es ist wichtig?«
    »Ja.«
    »Ich rufe ihn an, schaue, was sich
machen läßt, und melde mich dann wieder.«
    »Danke, Adah.«
    »Weißt du, McCone, manchmal frage ich
mich wirklich, ob sich das gelohnt hat.«
    »Ob sich was gelohnt hat?«
    »Mir von dir mein verflixtes Leben
retten zu lassen. Ich habe immer gehört, wenn man jemandem das Leben rettet,
fühlt man sich für den betreffenden Menschen verantwortlich und glaubt, auch
weiter was für ihn tun zu müssen. Aber seit du mir das Leben gerettet hast, tue
ich immer nur was für dich.«
     
    Nachdem ich das Handy wieder zugeklappt
hatte, blieb ich noch auf dem Parkplatz stehen und verfolgte das Kommen und
Gehen der Good-Buy-Markt-Kunden.
    Andere Leute kommen wegen der Sonne und
der Strände nach Florida, sagte ich mir, aber du nicht. Du kommst hierher, um
zwanghaft auf die Stelle zu starren, wo eine junge Frau, die du gar nicht
kanntest, vor über zehn Jahren einen gewaltsamen Tod starb. Die Fixierung auf
solche finsteren Dinge ist gefährlich. Aber ich konnte mich nicht aufraffen,
den Motor anzulassen und loszufahren.
    Ein Trio von jungen Müttern kam lachend
aus dem Supermarkt, die Sprößlinge sicher in den Kindersitzen der vollgepackten
Einkaufswagen verstaut. Zwei halbwüchsige Jungen düsten auf Skateboards vorbei
und kommunizierten laut schreiend. Ein älteres Ehepaar

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