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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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das dicke Geld zu machen. Aber als
sie auf so absurde Weise getötet wurde, habe ich erkannt, daß das alles gar
nichts bedeutet, und mich zur Ruhe gesetzt. Ich habe die Entscheidung kein
einziges Mal bereut.«
    Vielleicht hätte Mattys Tod mich
wachrütteln sollen, aber statt dessen hatte er mich nur auf meine Weise unter
Dampf gesetzt. Ich war mir nicht sicher, ob das gut war, aber es war nun mal
die einzige Reaktion, die mir zu Gebote stand.
     
    »Ja, Mack Gifford hat das Mobiliar
inventarisiert, aber ich habe die Sachen der Fullers nicht eingelagert.« Suzie
Kurth schüttelte das kurze blonde Lockenhaar und sah ungeduldig auf ihre
Armbanduhr. Zeit war ein kostbares Gut; es galt, Courtagen zu verdienen, und
bei mir bestand darauf keine Aussicht.
    »Was ist damit passiert?«
    »Suzie«, sagte die Sekretärin, »das
Notariat ist auf Leitung eins.«
    »Fragen Sie, ob Sie mir was ausrichten
können. Ich habe in fünfzehn Minuten einen Termin bei diesem
Harborside-Objekt.« Sie ging in Richtung Tür und winkte mir, ihr zu folgen.
»Wie war noch mal Ihre Frage?«
    »Die Sachen der Fullers — was ist damit
passiert?«
    »Ach, ja.« Sie hielt mir die Tür auf,
und wir traten auf den Gehweg hinaus. Der Himmel hatte sich bezogen, und ein
Hauch von Regen lag in der Luft. Suzie Kurth schnupperte und murmelte: »Hätte
den Schirm mitnehmen sollen.«
    »Die fullerschen...?«
    »Lassen Sie mich nachdenken.« Sie
schloß die Augen und klimperte mit einem Schlüsselbund. »Genau — der Bruder. Er
kam mit einem Möbelwagen und hat alles abgeholt.«
    »Ron Fullers Bruder?«
    »Ganz recht. Larry mit Vornamen.«
    »Wissen Sie noch, wie er aussah?«
    »Blendend, wenn man auf Typen mit
Button-Down-Kragen steht.«
    »Alter? Haarfarbe?«
    »Anfang Dreißig. Braunes Haar, dunkel.
Blaue Augen. Aber ganz und gar nicht mein Typ.«
    Ein anderer Bruder — wohl eher nicht
mit ihm verwandt. »Hat Gifford die Herausgabe der Sachen genehmigt?«
    »Nein, aber er hatte sie ja
durchgesehen, also bin ich davon ausgegangen, daß es okay ist, sie einem
Verwandten zu überlassen. Und Gifford hat auch nie wieder danach gefragt.« Sie
sah wieder auf die Uhr. »War’s das? Ich muß weg.«
    »Ich würde gern den Mietvertrag der Fullers
sehen, falls er sich noch in Ihren Akten befindet.«
    »Sorry, aber so lange hebe ich
Papierkram nicht auf. Das Haus war, offen gestanden, sowieso nur eine Last;
alle Mieter wurden geschieden oder sind gestorben.«
    »Ein verhextes Haus, würde ich sagen.«
    Suzie Kurth sah mich streng an. »Ms.
McCone, verhexte Häuser gibt es nicht, nur notorische Pechvögel.«
     
    Ich fuhr auf den Parkplatz des
Good-Buy-Markts und hielt neben der zerzausten Kiefernreihe am äußersten Rand.
Zehn Jahre und acht Monate war es her, daß John Seabrook — damals noch Ron Fuller
— von dieser Stelle aus mit angesehen hatte, wie seine
    Frau erschossen wurde. Über zehn Jahre
— was glaubte ich, was mir ein Besuch dieses Ortes einbringen würde, außer
morbiden Gefühlen, die Alpträume nährten?
    Dennoch saß ich da und beobachtete die
Kunden, die den Supermarkt betraten und verließen. Sah im Geiste eine Frau in
einem rosa Kleid ihrem Mann und ihrem Sohn über den Parkplatz hinweg zuwinken.
Hörte den Schuß, dann die Schreie der Umstehenden. Ich schloß die Augen, und
die Geräusche vermengten sich mit dem Knall einer Explosion und den Schreien
der Zuschauer bei der Flugshow. Die Bilder gingen jetzt durcheinander: Matty,
die mir winkte, die Finger zum Siegeszeichen gespreizt... die winkende Frau im
rosa Kleid... mein panischer Versuch, zu dem brennenden Wrack zu laufen... John
Seabrooks panisches Bemühen, seinen Sohn zu retten...
    Der Stoff, aus dem die schlimmsten
Alpträume waren, und das an einem lieblichen Nachmittag in Florida, während die
Sonne durch die regenschwangeren Wolken drang und einen Regenbogen malte.
    Ich öffnete die Augen und drängte die
schrecklichen Visionen zurück, hielt sie in Schach, während ich mich darauf
konzentrierte, was ich jetzt tun sollte. Sinnlos, die Leute vom Supermarkt zu befragen;
zehn Jahre waren eine lange Zeit, was das menschliche Gedächtnis und wohl auch
die Verweildauer von Verkäuferinnen anbelangte.
    Denk nach, McCone. Denk drüber nach,
was damals geschehen ist.
    Eine Kugel, Kaliber zweiundzwanzig,
mitten ins Herz. Ein sauberer, kaltblütiger Mord.
    Ein sauberer Mord, und dann das
spurlose Verschwinden der Restfamilie. Mann und Sohn, abtransportiert von zwei
Unbekannten, die sich für

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