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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Der
Identitätswechsel ist streng legal, unsere Beamten dürfen schließlich keine
betrügerischen Handlungen begehen.«
    Das hatte ich nicht gewußt, und es
sprach dagegen, daß die neuen Identitäten der Fullers als John und Zach
Seabrook vom Staat stammten. Die Geburtsurkunden, die ich in Johns Unterlagen
gefunden hatte, waren mit großer Sicherheit durch einen weitverbreiteten illegalen
Trick beschafft worden — so weit verbreitet, daß die Einwohnerbehörden
inzwischen schon Sicherheitsvorkehrungen dagegen getroffen hatten.
    Ich ignorierte diesen Haken für den
Moment und fuhr fort: »Mal angenommen, ich habe gegen jemanden ausgesagt und werde
bedroht. Was tue ich, um in das Programm aufgenommen zu werden?«
    »Sie beantragen es über die
Justizbehörde, die für den Fall zuständig ist. Wenn Ihr Antrag durchkommt,
gehen Sie zum nächsten Marshal-Büro und lesen ein Dokument durch, die
sogenannte Einverständniserklärung. Darin sind die Bedingungen des Programms
dargelegt. Wenn Sie meinen, daß Sie damit leben können, zeichnen Sie jede Seite
mit Ihren Initialen ab, unterschreiben das Ding, geben Ihre sämtlichen alten
Ausweise ab, und schon sind Sie drin. Ein Deputy Marshai wird beauftragt, für
Ihren Schutz zu sorgen, Ihnen eine neue Identität zu verschaffen, Sie
umzusiedeln. Wenn Sie später irgendwelche Probleme haben oder ein Krisenfall
eintritt, können Sie sich an ihn wenden.«
    »Kommt es je vor, daß Leute das
Programm ablehnen?«
    »Manchmal schon. Die Auflagen sind
ziemlich streng.«
    »Zum Beispiel?«
    »Das Wichtigste ist, daß Sie nie mehr
in die sogenannte Gefahrenzone zurückkehren dürfen — dorthin, wo die Bedrohung
am größten ist. Das ist normalerweise der Heimatort der betreffenden Person, wo
die meisten Verwandten und Freunde wohnten. Sie dürfen auch nirgends hin, wo
Sie irgend jemanden kennen, damit entfallen auch alle sonstigen Verwandten und
Freunde. Niemand aus Ihrem früheren Leben darf Sie anrufen; Sie selbst können
solche Leute anrufen, aber die Marshals sehen es gar nicht gern. Jedwede Post
von Menschen aus Ihrer Vergangenheit muß über ein Postfach des Marshals Service
gehen, und Päckchen — also etwa Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke — sind ganz
verboten.«
    »Das muß hart sein.«
    »Für einen normalen Menschen ja. Mal
angenommen, Sie haben alte Eltern: Sie müssen sie verlassen, in dem Wissen, daß
Sie sie nie mehr wiedersehen werden, es sei denn, auf dem Totenbett oder im
Sarg. Wenn sie dann sterben, dürfen Sie nicht an der Beisetzung teilnehmen. Ein
privater letzter Abschied in Gegenwart eines Deputy Marshai ist alles, was
Ihnen vergönnt ist.«
    »Ich verstehe, was Sie meinen.«
    »Oh, das ist noch nicht alles. Sie
dürfen Ihren alten Beruf nicht mehr ausüben und kriegen höchstens noch miese
Jobs, weil Sie keine Referenzen haben. Wieder studieren oder einen neuen Beruf
erlernen, können Sie auch nicht, weil Sie nicht an Ihre Zeugnisse herankommen.
Sie dürfen Ihren früheren Hobbys nicht mehr nachgehen. Sie haben Angst, neue
Freundschaften zu schließen, weil Sie befürchten, daß Ihnen irgendwas
entschlüpft, daß Sie vielleicht Ihre Frau oder Ihre Kinder versehentlich beim
richtigen Namen nennen. Wenn Sie unverheiratet sind, können Sie keine wirklich
enge Beziehung eingehen, weil eine der Auflagen des Programms lautet, daß Sie
niemandem von Ihrer Vergangenheit erzählen dürfen. Und Sie haben zwar echte
Papiere — Sozialversicherungskarte, Führerschein, Geburtsurkunde — , können
aber weder eine Kreditauskunft noch Patientenunterlagen beibringen. Alles, was
Sie betrifft, alles, wofür Sie Ihr Leben lang gearbeitet haben, ist
ausgelöscht.«
    Im Zuge dieser Erklärungen war Morlands
normalerweise sanfte Stimme lauter und emotionaler geworden. Er mußte es selbst
gehört haben, denn er sah sich um und drosselte seine Lautstärke. »Sie merken
wohl, daß mich dieses Thema richtig in Rage bringt. Das Programm nützt vor
allem den Leuten, die es am wenigsten verdienen, wie etwa Kleingangstern, die
einen Neuanfang suchen. Die unschuldigen Zufallszeugen irgendwelcher Verbrechen
und die guten Staatsbürger, die das Richtige zu tun glauben, indem sie sich
melden — das sind diejenigen, die leiden.«
    »Das klingt, als hätten Sie einige
Erfahrung mit Leuten in dem Programm.«
    »Von meinen Informanten sind etliche
dabei. Manche sind damit klargekommen, andere nicht. Ein paar sind an dem Punkt
angelangt, wo sie sich sicher fühlten und wieder zu ihren alten

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