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Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwig
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Gewalt und Kindesverwahrlosung zu tun haben, aber nicht mit Mord. Sie wollen jemanden sprechen, der bezeugen kann, was Martha da erzählt. Constanze holt Johannes, der ebenso knapp Auskunft gibt. Immerhin haben die Beamten jetzt etwas aufzuschreiben: Namen, Adressen, Uhrzeiten.
    Einer der beiden telefoniert, der andere bittet Martha um ihren Ausweis. Sie geht in ihr Zimmer, auf dem Schreibtisch liegt ihr Hausaufgabenbuch, aufgeschlagen auf der Seite mit den ineinander verschlungenen Ms und As. Ausgerechnet. Ihr kommt es vor, als sei es Jahre her, dass sie die ins Heft gekritzelt und sich dabei in Millers Arme geträumt hat. Martha hat das Gefühl, dass sie dieses Zimmer als Kind verlassen hat und nun als eine Erwachsene wieder betritt – nur dass sie nicht freiwillig erwachsen geworden ist.
     
    Als die beiden Polizisten weg sind, setzt sich Martha auf ihr Bett und schaut wie hypnotisiert zur Tür. Gleich wird sie aufgehen, der Kommissar mit dem stechenden Blick wird hereinkommen und sie verhaften. Selbst wenn sie nicht ins Gefängnis kommt, wird sie wahrscheinlich nie wieder in dieses Zimmer zurückkehren. Es wird genau das passieren, was Martha von Anfang an wollte. Ihre Mutter wird sich eine neue Wohnung nehmen, und sie und Martha werden allein darin wohnen. Vielleicht wird Constanze nie wieder einen neuen Mann finden, wird alt und verbittert werden, und Martha wird sich ewig Vorwürfe machen, weil sie das Glück ihrer Mutter zerstört hat.
    Am Schrank hängt das Kleid, mit dem das ganze Unglück anfing. Unschuldiges Himmelblau mit kleinen dunkelblauen Punkten. Ihr erster Impuls ist aufzustehen, es vom Bügel zu reißen und in einen Müllsack zu stopfen, aber sie kann sich nicht rühren. Nicht nur weil ihr alles so weh tut, als habe jemand stundenlang auf sie eingeprügelt.
    Die Tür geht auf, doch nicht der Kommissar steht davor, sondern Poppy. Poppy mit ihrem Fisch im Arm und dem Daumen im Mund. Sie sagt nichts, sondern kommt zu Martha und setzt sich neben sie aufs Bett. «Maahta», murmelt sie. «Maahta.» Dann legt sie ihren Kopf in Marthas Schoß und schließt die Augen.
    Martha fährt vorsichtig mit dem Finger über das kleine Gesicht, die zarte Haut, die Stupsnase. Sie wickelt sich einen der dünnen Zöpfe um den Finger.
    Poppy schlägt die Augen wieder auf. Sie sind gar nicht blau, sondern graugrün mit einem dunklen Rand um die Iris. Es müssen die Augen ihrer Mutter sein, denn Johannes’ Augen sind braun. Martha ist sicher, dass sie Poppys Mutter gemocht hätte, wenn sie sie hätte kennenlernen können.
    «Liest du mir ein Märchen vor?», fragt Poppy und zeigt auf das Hausaufgabenbuch.
    «Das ist aber kein …», beginnt Martha. «Ja, ich lese dir ein Märchen vor», sagt sie dann, löst Poppys Kopf aus ihrem Schoß und steht auf, um das Buch zu holen. Sie blättert, bis sie eine leere Seite findet. Wenn ihr Leben so wie diese Seite wäre und sie sie noch einmal neu beschreiben könnte!
    «Komm her», sagt Poppy.
    Martha setzt sich zu ihr aufs Bett. «Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten eine kleine Tochter, die sie über alles liebten. Doch eines Tages, als die Königin und die kleine Prinzessin unterwegs waren, hatten sie einen fürchterlichen Unfall. Die Königin starb, und der König war untröstlich.»
    «Er hatte aber noch die Prinzessin», sagt Poppy.
    «Ja, er hatte noch die Prinzessin. Aber er hatte keine Frau, und die Prinzessin hatte keine Mutter mehr, und beide waren sehr, sehr traurig. Da lernte der König eines Tages eine Frau kennen, die auch sehr traurig war, denn ihr Mann war gestorben. Der König und die Frau trafen sich oft, und schließlich beschlossen sie zusammenzuziehen, um nicht mehr so einsam zu sein. Das war eigentlich eine gute Idee, aber leider hatte die Frau eine Tochter, die –»
    «War die auch Prinzessin?»
    «Nein, die war keine Prinzessin, die war ein ganz normales Mädchen.»
    «Wie sah sie aus?»
    «Nun, sie war viel älter als die Prinzessin und natürlich auch lange nicht so hübsch. Eigentlich war sie ein hässliches Entlein. Nur ihre Haare waren schön.»
    Poppy nickt. «So wie deine.»
    «Sie war nicht nur ein hässliches Entlein, sie war auch sehr eifersüchtig, weil ihre Mutter sich nur um die Prinzessin gekümmert hat. Das war ja auch ganz normal, denn die Prinzessin war noch sehr klein, und außerdem litt sie sehr unter dem Tod ihrer Mutter, der Königin.»
    «Aber das andere Mädchen hatte doch auch keinen Papa mehr.»
    «Das stimmt.

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