Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
wirklich Schauspielerin werden.»
«Simon meint, sie ist richtig gut.»
Martha nickt. «Ist sie. Aber Simon macht seine Sache auch nicht schlecht.» Sie schaut Vincent an. «Schade, dass du nicht mehr dabei bist, uns fehlt der Arzt, der am Ende Blanche in die Irrenanstalt bringt. In der Zwangsjacke.»
Vincent lacht. «Wie ich Jill kenne, trägt sie die wie ein Designerstück. Das muss ich sehen.»
«Ich dachte, du kommst, weil du mich sehen willst», sagt Martha und ärgert sich, das klingt ja fast, als wäre sie eifersüchtig.
Vincent schaut Martha kurz an, dann betrachtet er seine Schuhspitzen. «Simon hat irgendwas von einer Vergewaltigungsszene erzählt, auf die er sich besonders freut. Spielt ihr das wirklich?»
«Das hätte er wohl gern. Nein, das zeigen wir natürlich nicht. Sind ja auch Minderjährige im Publikum.»
«Ich erinnere mich gar nicht an die Stelle», sagt Vincent. «Aber ich hab das Stück auch nie gelesen.»
«Meinst du, ich?» Martha kichert. «Also, die Fassung, die wir spielen natürlich schon. Stella, das bin ich, bekommt gerade ihr Kind, und Simon, also Stanley, ist mit seiner Schwägerin allein in der Wohnung und –»
«Das ist Jill, hab ich kapiert.»
«Er sagt ihr, dass er ihr ganzes vornehmes Getue längst durchschaut hat, dass alles, was sie erzählt, erstunken und erlogen ist. Blanche bedroht ihn mit einer abgebrochenen Flasche und –»
«Stopp!» Vincent hebt die Hände. «Das klingt echt spannend, das will ich selber sehen. Ich vermute mal, es gibt kein Happy End?»
Martha schüttelt den Kopf. «Du weißt ja, wir suchen immer noch den Irrenarzt.»
«Den kann doch Miller spielen …»
«Wieso?», fragt Martha.
Vincent zuckt mit den Schultern. «Keine Ahnung, aber irgendwie trau ich ihm nicht über den Weg. Ich glaube, der trägt die ganze Zeit eine Maske.»
«Tun das die Lehrer nicht alle?»
«Da hast du recht. Wusstest du übrigens, dass der feine Dr. Lause an unsere Schule strafversetzt wurde?»
«Nein!»
«Der war vorher Direktor an so einem Elitegymnasium in Tiergarten und hatte da was mit einer Schülerin. Die war zwar schon volljährig, aber er musste trotzdem die Schule verlassen.»
«Woher weißt du das?»
«Betriebsgeheimnis.» Vincent grinst. «Ach, Quatsch, warum soll ich es dir nicht sagen? Meine Mutter ist da Lehrerin.»
«Lehrerin? Dafür muss man sich doch nicht schämen», sagt Martha.
«Aber ich glaube, sie schämt sich, weil ich es nur an unser Schmalspurgymnasium geschafft hab.»
«Ist doch viel praktischer, gleich um die Ecke.» Martha weiß, dass Vincent ein paar Häuser neben Jill wohnt. «Was machst du eigentlich auf der falschen Seite der S-Bahn? Dazu noch auf einem Spielplatz?»
Vincent scharrt mit den Füßen im Sand. «Hab einen Kumpel besucht, wir rudern zusammen, und danach bin ich ein bisschen rumgelaufen. Wohnst du hier in der Gegend?»
Martha nickt. Aus der Klasse weiß eigentlich nur Jill, dass sie in den Sommerferien umgezogen ist. Sie hätte schon längst ihre Adresse auf der Klassenliste ändern müssen, aber die Handynummer ihrer Mutter ist schließlich die gleiche geblieben, und mit einem blauen Brief rechnet sie in nächster Zeit auch nicht. Es hatte ihr widerstrebt, die neue Adresse aufzuschreiben, so als ob sie den Umzug damit ungeschehen machen könnte.
«Und wo genau?»
«In der Koblenzer Straße», sagt Martha.
«Etwa da, wo die Frau ermordet wurde?»
«Ja», sagt Martha knapp. Sie wird Vincent bestimmt nicht erzählen, dass sie sogar im gleichen Haus mit der Ermordeten wohnt.
«Hast du irgendwas mitbekommen?», fragt Vincent neugierig.
Martha muss glücklicherweise nicht antworten, denn Poppy kommt auf sie zu und streckt Martha anklagend den völlig durchweichten Fisch entgegen. «Musst du trocken machen.»
Martha tippt sich an die Stirn. «Noch was?»
Die Kleine baut sich vor Vincent auf und strahlt ihn an. «Du kannst das.»
Vincent hebt abwehrend die Hände. «Ich kenn mich mit Stofftieren nicht aus, tut mir leid.»
Martha erhebt sich. «Wir müssen sowieso gehen.»
Vincent steht auch auf. «Ich kann ja noch ein Stück mitkommen.»
«Lieber nicht», sagt Martha und zieht Poppy unsanft mit sich. Dann dreht sie sich noch einmal um. «Aber danke für die Burg. Die ist echt super.»
«Baust du ein Haus für mich, wenn ich groß bin?», kräht Poppy.
Martha kann nicht hören, was Vincent antwortet, sie sind schon auf der Straße, wo der Verkehrslärm sie umfängt.
12.
A n diesem Montag hat
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