Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
wilden Rosen und Dahlien. Sie nickt. «Die waren so schön, da konnte ich nicht widerstehen.»
«Na, hoffentlich sehen das meine Nachbarn auch so», sagt er und lacht. «Aber komm doch bitte herein, möchtest du etwas trinken?»
Martha überlegt, was wohl ein passendes Getränk sein könnte. Kaffee? Zu langweilig. Tee? Schon besser. Sie stellt sich feines englisches Porzellan vor, eine Etagere, auf der kleine Kuchen liegen … Quatsch, Miller ist Amerikaner, kein Engländer, bestimmt bietet er ihr eine Cola an. Sie sieht ihn vor sich, wie er nach der Aufführung das Glas Prosecco in der Hand gehalten hatte. Prosecco ist auf alle Fälle besser als Cola. Erwachsener irgendwie.
«Wie dumm, ich biete dir etwas zu trinken an, dabei weiß ich gar nicht, ob ich auch was im Haus habe.» Er führt sie in ein Wohnzimmer.
Wie sieht das aus? Eher rustikal oder elegant? Bestimmt überall Bücher und daneben vielleicht ein Hometrainer. So sah das Arbeitszimmer ihres Vaters aus. Nein, der Hometrainer stört. Martha sieht moderne Kunst an den Wänden und ein breites Sofa aus rotem Samt. Quatsch, roter Samt ist zu weiblich. Besser ist so ein klassischer Pfeffer-und-Salz-Bezug.
«Setz dich doch bitte, ich schau mal nach, ob ich was finde.» Als er zurückkommt, hat er zwei langstielige Gläser und eine Flasche Prosecco in der Hand. «Eigentlich ist es dafür ja noch ein wenig früh, aber ich finde, wir haben etwas zu feiern.»
«Was denn?», fragt Martha und nimmt ihm die Gläser ab. Miller öffnet die Flasche und schenkt ein. Dann hebt er sein Glas. «Wir trinken darauf, dass ich den Unfall überlebt habe.»
Sie schlägt sich in entsetzt die Hand vor den Mund. «O Gott, war es so schlimm?»
«Ich weiß jetzt jedenfalls, wozu ein Airbag gut ist.»
«Da bin ich wirklich sehr erleichtert.»
«Ach ja? Ihr hättet bestimmt einen neuen Englischlehrer bekommen.»
Sie nippt an dem Sekt und schaut zu Boden. «Der hätte aber nie so gut sein können wie Sie.»
«Jeder Mensch ist zu ersetzen.»
«Sie aber nicht. Niemals!» Sie nimmt schnell noch einen Schluck.
«Ich bin auch froh, dass ich nicht gestorben bin, denn dann hätte ich dir etwas ganz Wichtiges nicht sagen können.»
«Und was soll das sein?»
Er kommt ihr ganz nah und hebt ihr Kinn. «Ich hätte dir niemals sagen können, wie sehr ich dich liebe.»
«Aber ich liebe Sie doch auch!»
«Bitte hör auf, mich zu siezen. Auf Englisch ist es ganz einfach.» Er nimmt ihre Hand und küsst eine Fingerspitze nach der anderen. «I love you.»
Und dann sinken sie zusammen auf das Pfeffer-und-Salz-Sofa, die Gläser fallen zu Boden, Prosecco fließt über den Teppich, und keiner achtet darauf.
Hier endet Marthas Traum, wie jedes Mal. Sie mag sich nicht ausmalen, was weiter geschieht. Sie und Miller in einem innigen Kuss vereint, mehr will sie gar nicht.
Von draußen ist Poltern und Geschrei zu hören. Kurz darauf wird die Tür zu Marthas Zimmer aufgerissen.
«Ich hab einen Hund gesehen, Maahta, einen riesengroßen Hund!»
Johannes erscheint und will Poppy wegziehen. «Nun lass Martha doch in Ruhe, sie muss arbeiten.»
«Aber sie liegt im Bett!»
«Ich denke nach», sagt Martha.
Poppy legt den Kopf schief und sieht Martha prüfend an. «Denken ist langweilig.»
«Das sagst du.» Martha dreht sich auf den Bauch und greift nach ihrem Geschichtshefter.
Woran scheiterte die Weimarer Republik? Nenne verschiedene Gründe.
«Der Hund war ganz schwarz und bestimmt sehr böse, aber er hat mich nicht gebissen und –»
«Connie ist nicht da?», fragt Johannes.
«Nein, sie kauft Dessous.»
«Oh.»
Martha sieht Johannes nicht an, aber bestimmt leuchtet seine Glatze wie ein Feuermelder.
«Was sind Teesus?», will Poppy wissen. «Krieg ich auch welche? Kann man die essen?»
«Nein, das ist nichts zu essen, komm schon, du Quälgeist.» Endlich schafft es Johannes, Poppy wegzuzerren. «Aber ich wollte Maahta von dem Hund erzählen!»
Was Johannes erwidert, kann Martha nicht hören, doch irgendwann herrscht Ruhe. Wahrscheinlich hat die Glatze Poppy vor den Fernseher gesetzt, und ihr erzählt er dann, wie schädlich das für kleine Kinder ist, haha.
Sie hört das Klappern von Töpfen aus der Küche und spürt, wie sich ein nagendes Hungergefühl bemerkbar macht. Sie wird sich einen Apfel holen und ein bisschen auf nett machen. Vielleicht kommt Johannes ja von allein auf die Idee, ihr das Geld für London zu borgen. Dann kann ihre Mutter eigentlich nichts dagegen haben.
Sie
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