Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
gibt es die ersten Entlassungen.»
«Aber ich denke, du bist fest angestellt?»
«Wenn die Firma den Bach runtergeht, dann nützt mir die Festanstellung herzlich wenig. Das nennt man dann ‹betriebsbedingte Kündigung›. Tu den Sellerie bitte auch unten rein.»
Das ist ja mal wieder perfektes Timing, wie kann Martha ihre Mutter jetzt noch dazu bringen, einen Flug nach London zu buchen?
«Aber du bist noch nicht gekündigt, oder?»
Constanze schüttelt den Kopf. «Nein, noch nicht. Aber es ist nur eine Frage der Zeit. Bauzeichner braucht kein Mensch mehr, macht alles der Computer.»
«Vielleicht wird’s ja nicht so schlimm», sagt Martha betont munter. «Du, Mama, Jill hat mich in den Herbstferien nach London eingeladen, ist das nicht toll?»
«Eingeladen? Wie darf ich das verstehen?»
Martha hasst es, wenn ihre Mutter diesen Ton draufhat, aber sie unterdrückt eine pampige Antwort. «Ihr Vater arbeitet doch da und hat eine tolle Wohnung, direkt am Hydepark, und sie fliegt hin, und ich darf mit, muss nur den Flug bezahlen.»
«Nur den Flug bezahlen, aha, und was kostet der? Wie ich dich kenne, hast du bestimmt schon was rausgesucht.»
«Es gibt einen, der kostet hin und zurück keine zweihundert Euro!»
Constanze schlägt die Kühlschranktür zu. «Und das, obwohl Ferien sind?», fragt sie.
«Na ja, er geht von Leipzig aus.»
«Und wie willst du da hinkommen?»
«Jill meint, es gibt so Mitfahrgelegenheiten, die kosten nur zehn Euro.»
«Du glaubst doch nicht, dass ich dich mit wildfremden Leuten im Auto mitfahren lasse?»
«Mama!» Martha schreit fast. «Das machen alle, und außerdem kann man auch mit der Bahn fahren.»
«Allerdings, aber du bist sechzehn, das heißt, du musst voll bezahlen, du hast ja noch nicht einmal eine Bahncard.»
«Dann kauf ich mir eben eine.» Martha ist den Tränen nahe.
Ihre Mutter zieht sie an sich. «Martha, Kind, das klingt alles so toll mit eingeladen und so, aber selbst wenn der Flug nur zweihundert Euro kostet, musst du vom Flughafen in die Stadt, und in London brauchst du natürlich auch Geld. Das läppert sich zusammen, und am Ende sind mal eben fünfhundert Euro weg.»
Sie streicht ihr über die Wange. «Ich würde dir das Geld wirklich gern geben, aber ich habe es nicht.»
«Neulich hast du doch noch gesagt, du hättest welches, weil du keine Miete zahlen musst.»
«Natürlich kann ich dir mal fünfzig Euro geben, aber mehr auch nicht.»
«Aber du sparst doch jede Menge Geld, wenn wir hier umsonst wohnen», beharrt Martha.
Ihre Mutter kippt Kartoffeln in einen Korb. Als sie sich zu Martha umdreht, ist ihr Gesichtsausdruck nicht mehr nur verärgert, sondern verbittert.
«Alles, was ich spare, ist gleich weg. Ich muss nämlich die Schulden deines Vaters abbezahlen.»
«Schulden?»
«Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, aber ich möchte nicht, dass du denkst, ich vermassele dir deinen Spaß. Papa hat ein Jahr vor seinem Tod einen Kredit von zehntausend Euro aufgenommen, und ich hab damals dafür gebürgt. Diesen Kredit stottere ich jetzt ab. Monat für Monat. Wenn ich meinen Job behalte, bin ich nächsten Sommer damit fertig, und dann kannst du gern nach London fliegen.»
«Nächsten Sommer!», schnaubt Martha.
«Es tut mir leid, aber so ist es nun mal.»
«Was hat Papa denn mit dem Geld gemacht?», fragt Martha.
«Er hat seine letzten Reisen damit finanziert.»
«Ich denke, das waren Aufträge von der Zeitung?»
«Die haben das Geld auch nicht mehr so dicke. Er hat den Redakteuren Themen angeboten, und es hieß, machen Sie mal, aber ein Vorschuss war nicht drin. Er hatte gedacht, dass er seine Reportagen mehrfach verkaufen kann, auch ans Radio. Und über Patagonien wollte er einen Reiseführer schreiben, aber dazu ist es ja nicht mehr gekommen. Dummerweise hatte er schon den Flug gebucht, der allein hat zweitausend Euro gekostet.»
Martha ist wie vor den Kopf geschlagen. Zehntausend Euro. London kann sie vergessen. Aber vielleicht gibt es noch eine Chance.
«Kannst du nicht Johannes fragen, vielleicht borgt er uns das Geld, und du zahlst es ihm dann später zurück. Oder ich gebe es ihm, wenn ich 18 bin und an mein Sparbuch kann. Bitte!»
«Nein», sagt ihre Mutter entschieden.
«Aber warum denn nicht, Mama. Ich meine, ihr lebt zusammen und –»
«Ich habe nein gesagt, und dabei bleibt es! Und ich möchte auch nicht, dass du ihn darum bittest, hörst du? Martha!»
«Dann muss ich also Jill jetzt sagen, dass ich nicht mitkann?»,
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