Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
lässt sie schaudern.
Miller. Er muss ihr helfen. Er wird wissen, was sie jetzt tun soll. Ob sie noch einmal zu ihm fährt? Nein, bei dem Gedanken an das trostlose Wohnzimmer mit den eingestaubten Kerzen und Trockenblumengestecken bekommt sie ein unangenehmes Kribbeln im Hals.
Sie wählt seine Festnetznummer und fragt sich, warum Miller ihr nicht seine Handynummer gegeben hat. Wieder springt der Anrufbeantworter an. Zu dumm! Martha hat sich die Nummer von dem grünen Handy nicht notiert. Und ihres hat sie zu Hause liegengelassen. «Hallo, ich bin’s. Ich habe eine Frage, aber blöderwei–»
«Martha?», ertönt Millers Stimme.
Sie ist erleichtert. «Homer. Er hat sich gemeldet. Mittwoch hat er das Geld, aber er will wissen, wann und wo die Übergabe sein soll», sprudelt es aus ihr heraus.
«Wo bist du gerade?»
«Ich laufe in Richtung Volkspark.»
«Gut, wollen wir uns da treffen? In einer halben Stunde?»
«Ja, aber wo genau?»
«Auf der anderen Seite der U-Bahn, am Springbrunnen. Da können wir uns nicht verfehlen.»
Martha läuft den Park entlang bis ans Ende, wo auf einer Säule ein goldener Hirsch einen Springbrunnen bewacht, in dem aus Geldmangel schon lange kein Wasser mehr sprudelt. Laub und Müll füllen das Becken.
Der Himmel ist strahlend blau, Martha hat noch jede Menge Zeit, und sie überlegt, wie es wohl wäre, wenn es diese Erpressergeschichte nicht gäbe und sie ganz unbefangen mit Miller spazieren gehen, ihm einfach nur nah sein könnte.
Schweigend gehen sie nebeneinander her. Unter ihren Schuhen raschelt das Herbstlaub. Miller bückt sich, um etwas aufzuheben. Eine Kastanie. Vorsichtig befreit er die glänzende Frucht aus ihrer stacheligen Hülle und gibt sie ihr. «Kastanien sollen Glück bringen. Und Glück brauchst du.»
«Wenn Sie bei mir sind, brauche ich kein Glück», sagt sie und starrt auf den Boden. Er erwidert nichts, sondern greift nach ihrer Hand und drückt sie. Plötzlich fühlt sie sich leicht, so leicht wie die Amsel, die vor ihnen auffliegt, hoch in die Luft steigt und sich auf einer Birke niederlässt, um ihr süßes Lied anzustimmen …
«Martha!»
Erschrocken fährt sie herum und springt auf. Mit je einer Eiswaffel in den ausgestreckten Händen kommt Miller ihr entgegen.
«Ich hab gedacht, wir brauchen eine kleine Stärkung.»
Martha nimmt die Waffel. Das Eis zerläuft bereits. «Danke schön.»
Sie geht neben Miller her. Der blinzelt in die Sonne. «Nach diesem verregneten Sommer sind solche Tage wie ein unverhofftes Geschenk.»
«Hm», macht Martha vage. Sie hat keine Lust, mit ihm übers Wetter zu reden.
«Warst du schon mal in New York?», fragt er.
Sie schüttelt den Kopf.
«Alle schwärmen ja immer vom Central Park, aber für mich ist der Prospect Park in Brooklyn der schönste Ort der Welt. Du kannst dort picknicken, im See kleine Boote fahren lassen und den Kindern zuschauen, der Park ist immer voller Kinder. Schwarze Kinder, gelbe Kinder, weiße Kinder.» Er lacht.
Sie sind am Spielplatz angekommen.
«Hier war ich heute schon mal», sagt Martha.
«Mit deiner … wie war das noch gleich? Stiefschwester?»
«Poppy ist nicht meine Stiefschwester. Sie ist nichts weiter als die Tochter vom Freund meiner Mutter», sagt Martha. Eis tropft auf ihre Jeans.
Miller hat ihr nicht zugehört, er öffnet das Türchen und geht auf eine Bank zu. Es ist die gleiche Bank, auf der auch Martha vor einer guten Stunde gesessen hat.
Schwungvoll wirft er den Eisstiel in den Abfalleimer und reibt sich die Hände. «Schluss mit lustig, wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier.» Er wendet sich Martha zu. «Hast du dir schon überlegt, was ein guter Ort für die Übergabe sein könnte?»
«Keine Ahnung. Das ist es ja.»
Miller betrachtet nachdenklich zwei kleine Mädchen, die mit ihren Schaufeln im Sand herumwühlen, als würden sie dafür bezahlt.
«Warum nicht hier?»
«Hier? Auf dem Spielplatz? Das geht doch nicht!»
«Und wie das geht. Das ist sogar ein ganz hervorragender Ort. Du weist ihn an, das Geld in einen der Abfalleimer zu legen, und musst es nur noch rausholen.»
«Aber dann sieht er mich doch!», ruft Martha entsetzt. «Nachher verfolgt er mich, nimmt mir das Geld weg oder Schlimmeres!» Martha ist laut geworden.
Eine Mutter schaut neugierig zu ihnen hinüber.
«Ich trau mich das nicht», flüstert sie.
«Vielleicht kann ja auch jemand anders das Geld für dich holen», sagt Miller nachdenklich.
«Sie meinen, Sie
Weitere Kostenlose Bücher