Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
mit dir aus? Du schiebst doch seit Jahren eine gigantische Illusion vor dir her und ignorierst geflissentlich jeden, der dich auf diesen Umstand hinweist. Mich, zum Beispiel, oder deine innige Freundin Lucy. Du weißt, daß ich letztere auf den Tod nicht leiden kann, aber sie hat verdammt recht, wenn sie dir immer wieder erklärt, daß ich ein Arschloch bin und du keine Zukunft mit mir haben wirst. Aber du bist ja offenbar überzeugt, es besser zu wissen!«
    In dieser Art hatte er seit Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen, und sie zuckte unter der Wucht seiner Worte wie unter Ohrfeigen. Sie hatte nicht erwartet, daß er die unausgesprochene Übereinkunft des Neuanfangs, die seit dem Verbrechen von Stanbury zwischen ihnen herrschte, so plötzlich und so heftig brechen würde. Er war wieder der Phillip, den sie in Yorkshire erlebt hatte, gereizt, harsch, verletzend. Sie brauchte ein paar Sekunden, dies zu begreifen.
    »Du willst deinen Weg gehen?« fragte sie und konnte fühlen, wie bleich sie geworden war. »Und ich darf ihn nur dann gelegentlich kreuzen, wenn du zufällig mal wieder ein Alibi für einen Mord brauchst?«
    »Ich habe mit den Morden nichts zu tun«, entgegnete Phillip. Beide waren sie ziemlich laut geworden, und am Nachbartisch drehte man sich um.

    »Ich habe damit nichts zu tun«, wiederholte Phillip flüsternd, »und das weißt du genau!«
    »Weiß ich das? Woher soll ich das wissen? Und im übrigen geht es darum auch gar nicht. Du warst in der wahrscheinlich fatalsten Situation deines bisherigen Lebens, und das vor allem wegen des absolut neurotischen Verhaltens, das du zuvor im Zusammenhang mit Stanbury an den Tag gelegt hast. Ohne mich würdest du noch immer im Untersuchungsgefängnis sitzen.«
    »Sei nicht so sicher. Vielleicht wäre meine Unschuld längst erwiesen und ich wieder draußen.«
    »Willst du es ausprobieren?«
    Sie starrte ihn an. Er hielt ihrem Blick stand, bis sie schließlich die Augen senkte.
    »Ach, Phillip«, sagte sie müde, »müssen wir so miteinander reden? «
    »Müssen wir hier so sitzen?« fragte er zurück. »Was wolltest du mit dieser Aktion erreichen? Daß ich mit dir in dieses Häuschen ziehe, daß wir heiraten, daß wir eine Familie gründen?«
    »Warum sperrst du dich so dagegen?«
    »Weil mir für mich ein anderes Leben vorschwebt.«
    »Aber was denn für eines? Du weißt doch überhaupt nicht, was du willst! Du kannst doch nicht bis ans Ende deiner Tage in dieser Dachkammer leben und dich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten!«
    »Und warum nicht? Wenn das meine Vorstellung von Leben wäre, welches Recht hättest du, es mir auszureden?«
    »Aber du weißt doch, daß es nicht stimmt!« Sie legte alle beschwörende Kraft, die sie in sich fühlte, in ihre Stimme. »Du hast es mir doch selbst gesagt. Du zweifelst an dir und deinem Leben. Deshalb bist du ja so wild hinter Stanbury und den Spuren deines Vaters her! Du kommst nicht zurecht mit deinem Dasein. Du…«
    »Aber das geht dich nichts an. Das alles ist ganz allein mein Problem. Es mag sein, daß ich mit meinem Dasein, wie es ist,
nicht zurechtkomme - aber mit dir komme ich noch weniger zurecht. « Er schob seinen Teller mit den kalten Chips und dem fettig glänzenden Fisch angewidert zurück und stand auf. »Vergiß es, Geraldine«, sagte er. »Versuch so etwas nie wieder. Es nützt nichts. Du kannst mich nicht ändern.«
    »Ich könnte dich glücklich machen.«
    Er lachte, aber es klang eher verzweifelt als höhnisch. »Es gibt tausend Männer«, sagte er, »die sich bestimmt gern von dir glücklich machen ließen. Warum mußtest du dir einen suchen, bei dem es einfach nicht funktioniert?«
    »Ich liebe dich, Phillip. Ich würde dich sogar noch lieben, wenn du …« Sie hielt inne.
    Er sah sie fragend an.
    »Wenn du es getan hättest«, sagte sie leise.
    10
    Es war ein Hochhaus, in das Leon am Vortag umgezogen war, einer jener Wohnsilos mit vierzig Klingelschildern an der Haustür und zahllosen, winzig kleinen Balkons, die an Bienenwaben erinnerten, keinerlei Individualität erlaubten und, dank vorgezogener Wände und steinerner Überdachung, soviel Sonne wie nur möglich aussperrten. Vor dem Haus gab es Grünflächen, deren Betreten verboten war, aber auf den asphaltierten Plätzen vor den Garagen spielten Kinder, was offenbar als erlaubt galt. Jessica, die auf dem schattigen Plattenweg stand, der zur Haustür führte, mußte den Kopf in den Nacken legen, um bis zum obersten Stockwerk hinaufblicken zu

Weitere Kostenlose Bücher