Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
»Sie bezweifeln, daß ich einen langen juristischen Kampf finanziell durchhalten kann. Und Sie haben recht: Das wird sehr schwierig. Doch ich bin ganz sicher, daß ich Wege finden werde.«
»Was machen Sie beruflich?«
Jetzt zuckte er mit den Schultern. »Mal dies, mal das. Ich habe eine ganze Reihe abgebrochener Ausbildungen vorzuweisen … Irgendwie konnte ich nie etwas zu Ende führen. Nicht mal die Schule. Ich hab sie mit siebzehn geschmissen. Bin dann erst mal zwei Jahre durch die USA getrampt, habe gejobbt und von der Hand in den Mund gelebt. Dann war ich in New York an einer Schauspielschule, aber kurz vor dem Abschluß konnte ich nicht mehr weitermachen. Ich bin nach England zurückgekehrt, habe geheiratet und mich nach kaum drei Jahren wieder scheiden lassen. Danach …«
»Wie war sie?«
»Wer?«
»Ihre Frau. Sie müssen Anfang zwanzig gewesen sein, und sie war wohl kaum älter.«
»Sie war achtzehn. Drogensüchtig. Wir haben zusammen versucht …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie wurde immer wieder rückfällig. Immer wieder. Irgendwann hab ich es einfach nicht mehr ertragen.«
»Was wurde aus ihr?«
»Sie ist tot.«
Ehe Jessica etwas darauf erwidern konnte, fuhr er fort: »Ich wollte danach alles Mögliche machen. Fotograf werden. Journalist werden. Es noch mal als Schauspieler versuchen. Meinen Schulabschluß nachholen. Als Entwicklungshelfer nach Indien
gehen. Und, und, und … tausend Dinge. Alles angefangen, nichts beendet.« Er verknotete zwei Grashalme zum erstenmal so heftig, daß sie rissen. »Es ist der rote Faden in meinem Leben. Ein verdammter roter Faden, den ich nicht loswerde, obwohl ich darum gekämpft habe. Diese Sache jetzt werde ich aber durchziehen. Ich möchte die Anerkennung, daß Kevin McGowan mein Vater war, und ich möchte den mir zustehenden Anteil an seinem Erbe.«
»Das Erbe ist das Haus. Selbst wenn es Ihnen gelingt, Ihren Anteil zugesprochen zu bekommen, werden Sie womöglich noch kein Geld sehen. Denn ohne Patricias Einverständnis können Sie nicht verkaufen, und sie wird nie einwilligen. Sie wird sich nie von Stanbury House trennen, schon weil ihre Freunde das nicht zulassen.«
»Es geht mir nicht um Geld«, sagte Phillip.
Sie verstand ihn. »Es geht Ihnen um Ihren Vater.«
»Um das, was von ihm geblieben ist«, sagte Phillip.
»Kann ich dich einen Moment sprechen, Tim?« fragte Leon. Er hatte gehört, daß Tim die Treppe in die Eingangshalle herunterkam, und hatte das Eßzimmer verlassen, um ihn abzufangen. Obwohl das Wetter inzwischen wieder sehr schön geworden war und nach draußen lockte, hatte Leon kein Interesse daran, spazierenzugehen oder ein wenig im Garten zu arbeiten. Die Sorgen drückten ihn. Sie ließen keinen Raum für Entspannung und Ablenkung.
»Was gibt es?« fragte Tim. Auch er sah keineswegs fröhlich aus.
Wie auch, dachte Leon, mit diesem ewigen Trauerkloß Evelin an seiner Seite!
»Ich wollte dir nur sagen, daß ich mit Patricia gesprochen habe, Tim«, sagte er, »sie kennt jetzt meine ganze brisante Situation. Das gibt mir nun die Möglichkeit, den Lebensstil unserer Familie wirklich einschneidend zu verändern. Und in absehbarer
Zeit werden die Sparmaßnahmen dann greifen, und ich werde …«
»Gehört es zu der einschneidenden Veränderung des Lebensstils deiner Familie, daß Patricia vorhin wieder mit euren Töchtern zum Reiten aufgebrochen ist?« fragte Tim. Seine Stimme klang hart. »Soweit ich weiß, lassen sich die Bauern das Herumgehopse auf den Pferden ziemlich teuer bezahlen. Eine luxuriöse Urlaubsgestaltung für jemanden, der eigentlich pleite ist!«
»Das Reiten muß aufhören, und das weiß Patricia. Wir wollten nur nicht, daß den Mädchen so völlig abrupt etwas weggenommen wird, woran sie mit ganzem Herzen hängen. Patricia will ihnen heute auf dem Heimweg erklären, daß sie eine Pause machen müssen.«
»Soso«, brummte Tim.
Leon trat etwas dichter an ihn heran. »Du bekommst dein Geld, Tim. Das ist doch Ehrensache! Aber bitte gib mir noch etwas Zeit. Deine Praxis läuft blendend, du bist doch nicht darauf angewiesen, so schnell wie möglich …«
»Jetzt hör mir mal zu«, setzte Tim an, doch in dem Moment ging oben auf der Galerie eine Tür, und Evelin kam langsam die Treppe herunter. Sie hinkte. Als sie die beiden Männer sah, blieb sie stehen.
»Was macht ihr denn hier?« fragte sie, und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ich habe mir irgend etwas am Knöchel gezerrt. Ich
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