Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
er würde den Kreditrahmen noch ein wenig erweitern …
Fehlanzeige, natürlich. Der Ton des anderen war kühl gewesen, professionell, distanziert. So sehr sich Leon bemüht hatte, das Thema alte Zeiten anzuschneiden, das gemeinsame Tennisspiel, gemütliche Abende im Club, so wenig Bereitschaft hatte sein einstiger Partner gezeigt, darauf einzugehen. Es war, als hätte es Zeiten der Freundschaft nie gegeben. Die Möglichkeit der Bank, ihm Kredit einzuräumen, war erschöpft, weit überstrapaziert. Es ging nicht mehr, beim besten Willen nicht. Mit Tilgung und Zinsen war er weit im Rückstand, wie er ja wohl wisse. Die Bank sehe sich notfalls gezwungen, eine Zahlungsvollstreckung gegen ihn zu erwirken. Er kenne die Regeln. Er habe sie möglicherweise zu weit überzogen. Nein, anderes könne er ihm nicht sagen.
Leon hatte seinen fröhlichen Ton verloren, er hatte schließlich nur noch gebettelt. Man könne doch einen Mann nicht einfach in den Ruin treiben. Er habe schließlich Familie! Es müsse doch Wege und Möglichkeiten geben …
»Ihr großer Fehler war, damals zu teuer zu bauen«, sagte der Bankdirektor. »Man kann nicht in die Selbständigkeit wechseln, was immer Anlaufschwierigkeiten und finanzielle Engpässe mit sich bringt, und sich fast gleichzeitig in der feinsten Münchner Gegend einen solchen Palast hinstellen. Ihnen hätte doch klar sein müssen, daß das nicht funktioniert!«
»Ich habe das Haus fast ausschließlich mit Krediten Ihrer Bank finanziert!« sagte Leon voller Bitterkeit. Er und der Typ am anderen Ende der Leitung hatten einander in besseren Zeiten geduzt, aber auch das Du schien seine Gültigkeit verloren zu haben. »Damals haben Sie nicht davon gesprochen, daß es gefährlich ist, was ich tue. Im Gegenteil, Sie haben mich ermutigt und mir …«
»Sie sollten nicht versuchen, Ihre Fehlleistungen anderen in die Schuhe zu schieben. Es ist nicht meine Aufgabe, meinen Kunden
deren Pläne und Vorhaben auszureden. Ich unterstütze sie, wo ich kann. Aber auch mir sind irgendwann Grenzen gesetzt.«
»Sie sind zweimal Gast bei uns gewesen! Sie haben …«
»Bleiben Sie bitte sachlich. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. So leid es mir tut, ich kann Ihnen nicht mehr helfen. Und nun entschuldigen Sie mich. Ich habe noch ein paar andere Dinge zu erledigen.« Damit hatte er aufgelegt.
Leon hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, ihn noch einmal anzurufen, hatte ihn aber verworfen. Er würde für einige Zeit nicht mehr zu ihm vordringen. Die Vorzimmerdame hatte mit Sicherheit strikte Anweisungen.
Nun saß er da und starrte in das liebliche Tal, und nur ganz allmählich gelang es ihm, überhaupt wieder etwas von dem, was um ihn war, wahrzunehmen. Er sah die Sonne, die grasenden Schafe, die umhertollenden Lämmer. Die Wiesen, die von leuchtendem, frischem Grün waren, die Bäume, die mit Macht austrieben. Die Narzissen am Rand des Wegs und eine Vielzahl kleiner weißer Blumen, die mitten in der Wiese wuchsen. Er kannte ihren Namen nicht, aber sie sahen aus wie kleine Sterne, die jemand verschwenderisch ausgeschüttet hatte.
Wie friedlich es hier ist, dachte er.
Es war so eng in seiner Brust, eine dumpfe, beklemmende Enge. Als werde das Herz zusammengepreßt und könne nicht frei schlagen. Wenigstens spürte er keinen Schmerz im Augenblick. Dieses Stechen, das ihm stets so nachdrücklich klarmachte, daß er zu lange schon über seine Kräfte lebte. Wie mochte es sein, an einem Herzinfarkt zu sterben? Wie lange dauerte der Todeskampf? Wie schmerzhaft war er am Ende?
Er stieß die Autotür auf. Warme, weiche Luft strömte herein. Es roch nach Blüten und nach feuchter Erde. Er hörte ein Schaf blöken, ein Bächlein plätschern.
In einer Wiese liegen. In den blauen Himmel blicken. Den Geruch der Natur atmen, ihren Stimmen lauschen. Wann hatte er das zuletzt getan? Es mußte ewig her sein, vielleicht war er noch
ein Junge gewesen. Langsam stieg er aus. Schlenderte den Hang hinunter. Die Schafe ließen sich nicht stören, sie beachteten ihn nicht.
Er bückte sich, zog Schuhe und Strümpfe aus. Er spürte das Gras unter seinen nackten Füßen. Hatte es je irgendwo so stark, so intensiv nach Blüten gerochen? Oder hatte er es einfach nie bemerkt?
Er setzte sich in die Wiese. Atmete tief und ruhig. Er war in England. In einem Tal in the middle of nowhere . Zum erstenmal kam ihm der Gedanke, alles abzustreifen. Seine erdrückenden Probleme. Seine unglückliche Ehe. Sein ganzes bisheriges Leben.
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