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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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war die Stimme der Pensionsbesitzerin zu hören. »Schürt keiner Kohlen nach? Sollen unsere Gäst erfrieren?«
    »Gleich, Frau Prokosch!«, rief Moidl eifrig. Sie eilte hinaus.
    Erna sah ihr mit hochgezogenen Brauen nach.
    Na so was, dachte sie. Lügt mir der Fratz pfeilgrad ins Gesicht. Wo soll das noch hinführen.

6.
    Sonderermittler Gustav Kull musste erneut einsehen, dass er sich bei diesem Auftrag nicht in seinem gewohnten Milieu bewegte. Schon als er im Münchner Zentralbahnhof den Zug aus Berlin verlassen und sich durch die zugigen Straßen zu seinem Hotel hatte kutschieren lassen, hatte ihn eine erste Ahnung beschlichen, dass er vielleicht gut auf die Hintergründe dieses heiklen Falles vorbereitet sein mochte, weniger jedoch auf das spätherbstliche Wetter im Süden des Reiches. Es hatte seit Tagen geregnet. Der Himmel war niedrig und lastend, die Spitzen der Kirchtürme verloren sich in einer schmutzgrauen Wolkendecke, geschwängert vom Rauch, der aus Tausenden von Kaminschloten quoll. Bereits am nächsten Tag hatte er sich im Kaufhaus Uhlfelder mit einem Stapel frischer Taschentücher eindecken müssen.
    Aber das Münchner Klima war nichts gegen das, was ihn erwartete, als er gestern in diesem Gebirgsnest vor das niedrige Bahnhofsgebäude trat. Ein schneidend kalter Bergwind fegte Nebelschwaden und dünnen Graupeln durch das enge Talbecken, und ein Wolkenbruch hatte kurz vor seiner Ankunft die Dorfgasse in eine Schlammpiste verwandelt. Wehmütig dachte er an die Weite des Savignyplatzes und des Gendarmenmarktes, als er, vorbei an geduckten Dorfhäusern, den Gasthof »Zur Post« ansteuerte.
    Und jetzt auch noch das. Wütend starrte er dem Bergführer hinterher, den ihm der Wirt an diesem Morgen vermittelt hatte. Federnd eilte der junge Mann auf dem steil nach oben führenden Pfad voraus. Völlig klar, dieser Bauernrüpel wollte ihm demonstrieren, dass er ihn für einen verweichlichten Stadtmenschen hielt. Wie albern.
    Der Detektiv blieb stehen, musste Atem holen. Wie hasste er das Gebirge. Dieses Getue um frische Luft und körperliche Ertüchtigung. Gesund sollte es sein, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug?
    »He, Herr Alois!«, krächzte er. »Ich bin keine Gämse, ja?«
    Der Bergführer blieb stehen und betrachtete seinen Schützling, der mit kurzen Beinen und flatterndem Trenchcoat auf ihn zutaumelte. Mit einer Miene, die sich nicht zwischen Bedauern und Herablassung entschließen wollte, rief er: »Was hast?«
    Kull blieb keuchend vor ihm stehen. »So rasen Sie doch nicht wie ein Verrückter!«
    »Hab nicht ewig Zeit.«
    »Hören Sie mal!«, protestierte der Ermittler. »Ich habe Sie schließlich dafür bezahlt, ja?«
    Zwischen den buschigen Brauen des jungen Mannes bildete sich eine Falte. »Aber nicht für einen ganzen Tag.« Er drehte ihm wieder den Rücken zu und schritt zügig aus.
    Der Ermittler nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Taschentuch über Glatze und Nacken, dessen Haut vom Gurt seiner Leica bereits angereizt war.
    »Sind Sie überhaupt sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?«
    Alois warf ihm einen genervten Blick über die Schulter zu. »Weil ich den nicht wüsst! Schick dich endlich, sei so gut.«
    Kull drückte den Hut wieder auf den Kopf. Murrend, den Blick auf den schmalen Pfad vor ihm geheftet, stolperte er voran.
    Nach einigen Minuten lichtete sich der Bergwald. Der Steig querte einen Geröllhang und lief auf einen Felsgrat zu. Kull blieb stehen, stützte sich auf einen Felsblock und hechelte nach Luft. Dann ließ er seinen Blick suchend über die schütter bewaldete Bergflanke streichen. Obwohl er die Geländekarte in Berlin ausführlich studiert hatte, bereitete es ihm Mühe, sich zu orientieren.
    Dann hielt er den Atem an.
    »Warten Sie, Herr Alois«, rief er. »Bitte, ja?«
    Der Bergführer drehte sich unwillig um.
    »Was ist das hier?« Kull deutete auf ein leicht ansteigendes Felsplateau auf einer Geländerippe. »Ist hier ein Feuer gemacht worden oder was?«
    Der Bergführer sah in die Richtung, in die Kulls Finger wies.
    »Da ist ein Flieger abgestürzt.«
    Was du nicht sagst, dachte Kull. »Ach was!«, rief er. »Ein Flieger? Hier? Wann?«
    »Ein paar Wochen ists her.«
    »Nicht möglich!«, rief Kull. »Das muss ich mir angucken! Kommen Sie, Herr Alois!«
    Ein schmaler Geländesattel verband die Flanke mit dem Plateau. Kull winkte dem jungen Mann auffordernd zu und stiefelte mit sichelnden Armbewegungen auf die Absturzstelle zu. Widerwillig folgte der

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