Am Ende des Tages
gelassen. »Mir sind schon viele Rindviecher in meinem Leben untergekommen. Aber so ein dermaßen saublödes wie du noch nicht.«
Der Angesprochene erwiderte ungerührt: »Sinds mir ebenfalls nicht bös, Herr Nachbar. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir zusammen schon mal Säu gehütet hätten.«
»Kann auch gar nicht sein. Dazu bräuchts nämlich eine gewisse geistige Kapazität, die dir aber scheints abgeht.«
Das Gesicht des Privatiers hatte sich gerötet. »Da spricht der Experte. Von Politik und Wirtschaft aber hat wahrscheinlich jeder Esel mehr Ahnung als Sie.« Er wandte sich mit Zustimmung heischender Miene an Kajetan. »Und seine ehrliche Meinung wird man außerdem grad noch sagen dürfen, oder?«
»Stimmt«, pflichtete ihm dieser bei. »Ich jedenfalls hab noch nicht gehört, dass Dummheit neuerdings strafbar wär.«
Kajetan ignorierte die Empörung des Privatiers, rief nach dem Kellner, zahlte und ging. Die Luft war mild. Die Wolken über der Stadt waren gestiegen und faserten in großer Höhe aus, dazwischen weiteten sich blassblaue Felder. Die Sendlinger Straße war belebt. Vor der Asamkirche hockten Bettler, ihre Krücken neben sich gelehnt. Unentschlossen streifte Kajetan durch die engen Straßen der Altstadt. Am Stachus-Kiosk kaufte er sich drei Zuban-Zigaretten, steckte sich eine davon an und kämpfte einmal mehr gegen ein unbestimmtes Unbehagen, er vertrödele seine Zeit.
Wenig später trat er mit einem Satz neuer Unterwäsche, Leinenhemd, Hose, Windjacke und Wintermantel an die Kasse des Kaufhauses Uhlfelder. Als er sein Portemonnaie öffnete, wurde er unsicher. Jahrelang hatte er jeden Pfennig dreimal umgedreht, bevor er ihn ausgab. War er jetzt dabei, jedes Maß zu verlieren? Nur weil er für ein, zwei Wochen einen passablen Verdienst in Aussicht hatte? Was kam danach? War es vernünftig, auf die Versprechungen Rosenauers zu bauen? Oder überschätzte dieser sich und seinen Einfluss?
Er zahlte, sprang auf das Trittbrett der überfüllten Sechzehner, wechselte an der Theresienstraße in die Zweier. In seinem Zimmer angekommen, schlüpfte er in seine neuen Kleider. Er betrachtete sich zufrieden im Spiegel, zog sich wieder aus, streckte sich auf dem Bett aus und dachte nach.
Der Anwalt hatte ihn durchaus beeindruckt. Herzberg dachte scharf und gründlich nach, formulierte klar, knüpfte Zusammenhänge, verbiss sich nicht stur in eine, sondern hatte vorurteilslos alle Hypothesen in diesem Fall geprüft. Auch sprach für ihn, dass er sich so entschieden für seinen Klienten einsetzte, obwohl er vermutlich nur mit einem mageren Honorar und unbeholfenen Dankesworten rechnen durfte. Der Fall hatte keinen Glanz, die Tat war ein plumper Gewaltakt ohne jede Raffinesse, die Motive der daran Beteiligten vermutlich armselig. In den Kreisen, denen Herzberg angehörte, war damit kein Beifall zu ernten. Warum also setzte sich jemand, der sich nach Feierabend vermutlich an Shakespeares Sonetten und einem Glas besten Bordeaux ergötzte, für einen eher simpel gestrickten, wahrscheinlich nicht einmal sonderlich sympathischen niederbayerischen Landwirt ein? Und warum so verbissen?
Etwas vertrug sich nicht mit Herzbergs akademischer Abgeklärtheit, seiner distinguierten Kontrolliertheit. Trieb ihn irgendein sportlicher Ehrgeiz, sich in diesen Fall derart zu vergraben? Hatte er mit einem der beteiligten Richter noch ein Hühnchen zu rupfen? Hatte es womöglich damit zu tun, dass er Jude war? Glaubte er, sich und dem dünkelhaften Münchner Establishment etwas beweisen zu müssen?
Kajetan verwarf den Gedanken. Herzberg war erfolgreicher Strafverteidiger, dessen Ruf weit über Stadt und Land hinausgedrungen war. Er wusste vermutlich genau, dass man sich in seinem Beruf davor hüten musste, persönliche Gefühle mit beruflichen Angelegenheiten zu vermischen.
Kajetan zündete sich eine Zuban an und starrte eine Weile zur Zimmerdecke. Er drückte die Zigarette aus, öffnete das Nachtschränkchen, zog die Mappe mit den Fotografien hervor, betrachtete sie abwesend und legte sie wieder zurück. Als er die Tür des Schränkchens zugedrückt hatte, schwang sie wieder auf. Der Federverschluss war ausgeleiert. Kajetan faltete ein Stück Papier, klemmte es ins Schloss und knipste die Nachttischlampe aus.
Stunden später wachte er vom Lärm der Bühne auf. Er machte Licht, zog sich fluchend an und ging in das Erdgeschoss hinab. Einem Anschlag entnahm er, dass an diesem Abend des verstorbenen Dichters Klabund
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