Am Ende des Tages
Robustheit zugestanden, aber wenn sich das bewahrheiten würde und es zu einem Verfahren käme, würde es den Ruf seiner Partei massivst gefährden, besonders in jenem Teil des Bürgertums, der ihr durchaus gewogen ist. Gewagt und wenig überlegt auch deshalb, weil sich Major von Lindenfeld dann auch die Frage gefallen lassen müsste, wie die Kenntnis dieser Transaktion überhaupt nach außen dringen konnte. Nur er, sein engster Mitarbeiter und Major Bischoff selbst kannten die Details des geplanten Ablaufs, wie Abflugs- und Ankunftszeiten et cetera.«
»Und wieso stellt man ihm diese Frage eigentlich nicht?«
»Weil er sie bereits von sich aus beantwortet hat. Er versicherte, die Angelegenheit in der üblichen und bewährten Diskretion durchgeführt zu haben. Major von Lindenfeld hat außerdem, soweit es die Abwicklung aller bisherigen Transaktionen betrifft, niemals auch nur den geringsten Anlass zu einer Beschwerde gegeben.«
»Hat er …«, murmelte Stresemann. »Aber dann bleibt doch nur die Erklärung, dass es ein Unfall gewesen ist, nicht wahr?«
»Es gibt noch eine dritte Hypothese, Eure Exzellenz.« Der Staatssekretär wechselte das Standbein. »Sie lautet, dass Bischoff so schlicht wie dreist versuchen könnte, Eure Exzellenz zu betrügen. Sprich, dass er die Summe an sich gebracht und den Absturz inszeniert hat, um diesen Diebstahl zu kaschieren.«
Stresemann schüttelte seinen schweren Kopf. »Es wäre abenteuerlich.«
»Aber möglich. Bischoffs Fanatismus wird nur noch von seiner Skrupellosigkeit übertroffen.«
»Sein wahres Inneres ist eine kleine, erbärmliche Krämerseele, glauben Sie mir«, sagte der Außenminister angewidert. »Wann also können wir mit dem Ergebnis der Untersuchung rechnen?«
»In Kürze, Eure Exzellenz. Ich darf wiederholen, dass der von mir engagierte Experte nach Auskunft aller Gewährspersonen als einer der besten privaten Ermittler Berlins gilt. Im übrigen auch als einer der Schnellsten.«
Der Außenminister nickte.
»Gut. Dann spielen wir solange noch auf Zeit. Übermitteln Sie Major Bischoff meine verbindlichsten Grüße und versichern Sie ihm, dass wir alles in unseren Kräften Stehende tun werden, um seiner Organisation die notwendige Unterstützung zu gewähren.«
10.
Mit der Miene einer barmherzigen Spenderin, dabei die unvernünftige Großmut ihres Herrn Doktors beklagend, händigte Fräulein Agnes den Vorschuss aus. Die Summe war anständig, aber nicht üppig. Doch das war in Ordnung. Schließlich hatte Kajetan noch nicht bewiesen, dass er den Erwartungen des Anwalts gerecht werden würde.
Beschwingt verließ er die Kanzlei. Stäubender Regen fiel, die Luft war nach ersten frostigen Herbsttagen Ende Oktober wieder milder geworden. Er spazierte die stille Gruftstraße entlang und bog in die Weinstraße ein, um kurze Zeit darauf in das Menschengewühl des Marienplatzes einzutauchen. Ohrenbetäubender Lärm schlug wie eine Woge über ihm zusammen, Trambahnen kreischten in den Schienen und bimmelten empört, Automobile und Lastwägen knatterten vorüber, Schwaden stinkender Auspuffgase wie Fahnen hinter sich herziehend.
Selig zog Kajetan den Geruch der Stadt in seine Nase. Er schlenderte er eine Weile ziellos um den Platz, dann marschierte er in Richtung des Karlstores weiter.
Im »Café Fahrig« gönnte er sich zwei Tassen Melange und kam mit einem redseligen Tischnachbarn ins Plaudern. Der füllige Privatier zeigte sich darüber empört, dass die Münchner Brauereiarbeiter in Streik getreten waren, weil sie die neuerliche Erhöhung der Arbeitszeit nicht hinnehmen wollten. Wie könnte die Arbeiterschaft bloß so unvernünftig sein? Und so egoistisch in diesen Zeiten der Krise? Hier müsse er der Sozi-Regierung in Berlin ausnahmsweise einmal Recht geben: Das einzige Rezept seien Steuersenkungen und Kürzung der Sozialausgaben. Der Thomasbräu habe jedenfalls völlig Recht, wenn er das verantwortungslose Gesindel vor die Tür jagte und durch Streikbrecher aus dem Umland ersetzte!
Er beugte sich zu Kajetan und zwinkerte ihm komplizenhaft zu. »Wenns nach mir ging, Herr Nachbar – die ganze Bagasch gehört an die Wand gestellt. Wie im Neunzehner Jahr. Anders wirst das Gesindel nicht los, glauben Sies mir.« Er nahm einen tiefen Schluck, setzte den Krug ab, wischte sich über den Mund und nickte bekräftigend. »Meine Meinung!«
Ein jüngerer Mann auf der anderen Seite des Tisches sah von seiner Zeitung auf. »Sei mir nicht bös, Herr Nachbar«, sagte er
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