Am Ende des Tages
den Unterlagen heißt es zwar, dass die damals viereinhalb jährige Tochter des Ehepaares erkältet in der Stube nebenan gelegen ist. Aber …«
»Vergessen Sies.« Wieder schnitt ihm der Anwalt das Wort ab. »Das Kind hat eindeutig bestätigt, dass die Köller den Wohntrakt in der entsprechenden Zeit nicht verlassen hat. Die Tür zwischen beiden Räumen stand offen. Gewiss, die Kleine könnte kurz eingeschlafen sein, sich getäuscht oder den Sinn der Frage nicht verstanden haben. Aber wenn sogar die damaligen Ermittler das Kind als verständig einstuften, dürfen wir davon ausgehen, dass seine Aussage der Wahrheit entspricht. Und was die Beziehung zwischen Rotter und seiner Magd betrifft: Rotter schwor und beteuert bis heute, dass es bei ihm seit seiner Eheschließung keinerlei nichteheliche geschlechtliche Beziehungen mehr gegeben hat. Fräulein Köller äußerte sich nicht weniger entschieden, wurde aber seinerzeit nicht vereidigt.«
»Sowas haben schon viele geschworen«, warf Kajetan an.
»Geschenkt. Aber es gibt noch weitere Fakten, die gegen diesen Verdacht sprechen. Die Getötete hatte nachweislich eine Tendenz zu hysterischen Ausbrüchen. Sie soll ihre Nachbarn öfters mit haltlosen Anschuldigungen traktiert haben. Was bedeutet, dass sie mit Sicherheit beim geringsten Verdacht sofort Krach geschlagen hätte. Keiner der Nachbarn hat jedoch auch nur den Anflug einer entsprechenden Beobachtung berichten können. Von allen ist Ignaz Rotter als zwar raubeiniger, letztlich aber doch rechtschaffener Mann bezeichnet worden.«
Kajetan beugte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf seine Knie und massierte nachdenklich seine Schläfen. »Was ist eigentlich mit der Tochter danach passiert?«
»Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, wurde sie zunächst zu einem Verwandten seiner Mutter gegeben, dann in ein Waisenhaus bei Deggendorf verbracht. Von der Heimleitung ist Herrn Rotter nahegelegt worden, den Kontakt abzubrechen, da er schädlich für die Entwicklung des Kindes sei. Er hält sich daran, obwohl er darunter leidet.«
»Ein Tasserl Tee vielleicht für meine Herren?«, unterbrach die Sekretärin mit liebenswertem Lächeln. Die beiden Männer wehrten gleichzeitig ab.
»Dann noch was«, setzte Kajetan wieder an. »Es taucht immer wieder ein weiterer Beteiligter auf, ein …«
Herzberg nickte. »Richtig. Johann Fürst. Ein ehemaliger Heeresflieger, gebürtig aus der Region, der sich wie viele nach Kriegsende schwertat, wieder Fuß zu fassen. Von Beruf Schlosser, schlug er sich damals auf dem Land mit Reparaturarbeiten durch. Eine Zeugin – Sie haben es gelesen – gab zu Protokoll, dass dieser Mann am Tag des Mordes auf dem Hof Rotters zu Gast war. Rotter und die Hausmagd bestätigen es, sagen aber, dass er auf dem Hof lediglich zu Mittag gegessen und sich, nachdem an diesem Tag keine Reparaturen anstanden, gegen vier Uhr, also lange vor der Tatzeit, verabschiedet habe.«
»Ist gegen ihn ermittelt worden?«
Der Anwalt bestätigte nickend. »Wenn auch hier wieder empörend nachlässig und erst nach mehreren Wochen. Was man damit begründete, dass ja Bauer und Magd zuvor bestätigt hätten, Fürst habe um die von ihm genannte Zeit den Hof verlassen. Er selbst gab an, mit dem Zug nach Mühldorf gefahren zu sein, wo er ehemalige Regimentskameraden besucht habe. Ich habe mich vergewissert und festgestellt, dass der Fahrplan der entsprechenden Linie tatsächlich eine Abfahrt um fünf Uhr fünf vom Bahnhof in Thalbach vorsieht. Diese Station ist, grob geschätzt, fünfzig bis sechzig Fußminuten von Rotters Hof entfernt.«
»Er hat also ein Alibi.«
»Weil er einige Minuten vor Tatzeit im etwa vier Kilometer entfernten Bahnhof gerade den Zug bestiegen hat, richtig.« Herzberg nickte verdrossen. »Man sah offenbar keinen Anlass, die entsprechenden Angaben gründlicher zu überprüfen. Als Grund vermute ich, dass Fürst zum Zeitpunkt seiner Einvernahme bereits aktives Mitglied einer Freikorps-Einheit war, die sich in diesen Wochen gerade gebildet hatte. Nebenbei: Er nahm dann am Einmarsch in München teil, wobei er in einem Fall immerhin so auffällig geworden ist, dass es zu Ermittlungen gegen ihn kam. Er soll Mitte April an der Ermordung von Anhängern der Räteregierung beteiligt gewesen sein. Die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt.«
»Was sie nicht sagen.«
Der Anwalt quittierte die Bemerkung mit einem sarkastischen Nicken. Ȇbrigens ist nicht minder eigenartig, dass sich das Landshuter Gericht
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