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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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sah sich in der kleinen Wohnküche um. Sie war bescheiden möbliert. Auf einem Wamsler-Herd köchelte ein Topf mit Wasser.
    »Entschuldigens, dass nicht zusammengeräumt ist.« Frau Hartinger nahm eine flache Schüssel mit geschnittenem Kohl vom Tisch und entleerte sie in den Kochtopf.
    »Hockens Ihnen hin, Herr«, sagte sie. »Und nehmen Sies mir nicht übel, Herr, wenn ich ein bisserl misstrauisch gewesen sein sollt. Aber es gibt ja so einen Haufen schlechte Leut heutzutag.« Sie lächelte matt. »Da muss man sich schon genauer anschauen, wem man bei der Tür reinlässt.«
    Kull setzte sich. Sie kehrte an den Tisch zurück.
    »Erst noch einmal mein allerherzlichstes Beileid, Frau Hartinger«, begann er. »Es muss ein schwerer Schlag für Sie gewesen sein. Ihr Sohn Hermann war noch so jung.«
    Sie wischte mit der Hand mechanisch über die Tischfläche. »Mags allweil noch nicht glauben.« Ihr Kinn zitterte. »Wenn der Manne bloß nicht allweil so fliegerdamisch gewesen wär. Aber was willst machen, wenn das halt einmal dein Leben ist? Ganz zerschlagen ist er gewesen, wie sie ihn nach dem Krieg nicht mehr haben brauchen können.«
    Kull seufzte teilnahmsvoll. »Da war er leider nicht allein. In diesem Beruf ist es auch noch heute fast unmöglich, eine Anstellung zu finden. Tja. Das haben wir den Siegermächten zu verdanken, die dem Reich verboten haben, ein neues Flugwesen aufzubauen.«
    »Eine Schand, so was.«
    Kull nickte. »Sie sagen die Wahrheit, gnädige Frau.«
    »Drum bin ich ja dann auch so froh gewesen, dass er auf dem Flughafen draußen endlich wieder eine Arbeit gekriegt hat. Also das – das werd ich dem Herrn Major von Lindenfeld nie vergessen, dass er sich so für meinen Buben eingesetzt hat.«
    »Ach, der Herr von Lindenfeld hat ihm die Stelle verschafft?«
    »Ja. Kennens ihn auch? Ein ganz nobler Mensch, gell?«
    »Zweifellos, gnädige Frau. Ich hatte persönlich leider noch nie das Vergnügen. Aber der Herr Major war einer der angesehensten Offiziere der Reichswehr. Darf ich vermuten, dass Ihr Sohn früher unter Herrn Major von Lindenfeld Dienst tat?«
    Frau Hartinger bejahte. »Und obwohl das schon ein paar Jahre her gewesen ist, hat er sich sofort wieder an meinen Manne erinnert. Ist das nicht nobel von ihm …«
    Sie unterbrach sich und schaute zur Tür. Auf dem Flur näherten sich Schritte. Ein stämmiger junger Mann in grauem Arbeitsmantel, Gesicht und Arme mit Kohlestaub bedeckt, trat ein. Als er Kull sah, verschloss sich sein Gesicht.
    »Mein Jüngerer, der Hans«, erklärte Frau Hartinger. Sie wandte sich an ihren Sohn: »Der Herr ist von der Versicherung.«
    Kull stand auf und deutete eine Verbeugung an.
    »Gestatten, Kull.«
    Der Ankömmling kniff die Augen zusammen.
    »Versicherung? Von was für einer?«
    »Von der ›Olympia‹. Wie ich Ihrer Frau Mutter schon erklären durfte, soll der Unfall noch einmal untersucht werden. Meine Gesellschaft will größere Gewissheit bezüglich der Absturzursache. Wir haben uns nämlich davon überzeugt, dass sowohl der Flugzeugführer als auch der Bordmechaniker als äußerst erfahren und gewissenhaft galten. Weshalb wir mit dem offiziellen Gutachten, das eine Mitverantwortung der Besatzung nicht ausschließt, nicht einverstanden sind.«
    »Und?«
    »Nun, sollte eine neuerliche Untersuchung ergeben, dass die Besatzung doch keine Schuld trägt, könnte die Entschädigung für Ihre Frau Mutter neu berechnet werden.«
    »Das könnten wir doch brauchen, Hans, oder?«, sagte die Frau. »Aber jetzt wasch dir erst einmal Händ und Gsicht. So hockt man sich nicht an den Tisch. Noch dazu, wenn Besuch da ist.«
    Der junge Mann warf noch einen argwöhnischen Blick auf den Detektiv, bevor er seinen Arbeitsmantel auszog und sich zum Waschstein begab. Kull setzte sich wieder.
    »Nein, wirklich«, setzte Frau Hartinger wieder an. »Da ist mir direkt ein ganzer Felsbrocken vom Herzen gefallen, wie der Manne endlich wieder was Ordentliches gefunden hat.«
    Hans schüttete Wasser aus einer Karaffe in seine Hände und rieb sich das Gesicht ab. »Er ist halt dein Herzipopperl gewesen«, sagte er über die Schulter.
    Seine Mutter sah ihn mit unglücklicher Miene an.
    »Er ist tot, Hans«, sagte sie leise, »brauchst nimmer zu eifern.«
    »Wer eifert?«, gab er gereizt zurück. »Ich sag bloß, wies ist. Ein stinkfauler Stingl ist er gewesen, und du hast ihms Geld hint und vorn reingeschoppt.«
    »Geh zu …«, widersprach die Mutter schwächlich.
    »Nicht ›geh zu‹.

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