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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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Worten. »Es hat bloß so gewimmelt von ›grandios‹ und ›enorm‹, von ›den Himmel bezwingen‹, ›grenzenloses Glücksgefühl‹ und lauter so Schmarren. Hab gar nicht glauben können, dass der Manne so was geschrieben hat. Er hat ja früher nie sein Maul gescheit aufgebracht.«
    »Er hat es geschrieben«, sagte Kull. »Allerdings war er vermutlich nicht besoffen, sondern mit irgendwelchen Rauschmitteln vollgepumpt.« Er nahm Hans’ verständnislose Miene wahr. »Das war gang und gäbe. Diese Drogen wurden speziell an die Flieger ausgegeben, damit die sich nicht vor Angst in die Hose machten. Wenn Sie nämlich da oben sind und jede Sekunde damit rechnen müssen abgeschossen zu werden, wäre das die einzig wahre und menschliche Reaktion, verstehen Sie?«
    »Arme Sau …«, sagte Hans leise.
    »Ja«, stimmt der Ermittler zu. »Und jetzt sagen Sie mir bitte noch …«
    »Hans?«, tönte es besorgt von oben. »Wo bleibst denn? Essen wird kalt.«
    »Komm gleich, Mamm!« Der junge Mann deutete mit dem Daumen nach oben. »Ich muss rauf. Seit der Manne tot ist, kriegt sie immer öfter das Hysterische. Manchmal tagelang nicht, dann aber fängt sie schon zu spinnen an, wenn ich bloß auf den Abort geh.«
    »In Ordnung«, sagte Kull. »Erklären Sie mir bloß noch eins: Auf dem Gedenkfoto trägt Ihr Bruder Infanterie-Uniform. Dabei war er doch bei der Luftwaffe?«
    »Die Fotografie ist erst nach dem Krieg gemacht worden. Wie der nämlich endlich aus war, ist dem Manne nichts Besseres eingefallen, als sich zum Freikorps Oberland zu melden, wo er im Neunzehner Jahr dann mitgeholfen hat, die Leut bei uns in der Vorstadt zusammenzuschießen.«
    »Hat er in dieser Zeit womöglich diesen Herrn Fürst, den Ihre Mutter vorhin erwähnt hat, kennen gelernt?«
    »Weiß nicht. Kann aber gut sein.«
    »Allerletzte Frage: War Ihr Bruder zuletzt bei den Hitlerischen? Oder bei einem anderen völkischen Verein? Stahlhelm? Deutscher Schutzbund? Jungdeutscher Orden? Oder sonst wo?«
    »Kann ich nicht sagen. Der Manne und ich haben fast kein Wort mehr miteinander geredet, seit er damals mit seinem Freikorps-Gesindel durch Haidhausen marschiert ist.« Sein Blick wurde bitter. »Ich weiß bloß eins: Dass er sich allweil an die Falschen gehängt hat.«

22.
    Kajetan war erleichtert. Die Lichter des Thalbacher Bahnhofs flimmerten durch die Finsternis. Der Weg war zuletzt nur noch mit Mühe zu erkennen gewesen. Aber es war ihm gelungen, die Strecke in fast genau der Zeit zurückzulegen, die auch der wandernde Schlosser zu Protokoll gegeben hatte. Der Zug nach Mühldorf würde in ein paar Minuten eintreffen. Kajetan beschleunigte seine Schritte.
    Minuten später stieß er die Tür zur Wartehalle auf. Sie war unbeleuchtet. Aus dem Raum hinter der Kassenkabine drang matter Lichtschein. Hinter ihm fiel die Tür klackend ins Schloss.
    »Hallo?«, rief Kajetan.
    Ein gedämpftes, gelassenes »Komm gleich!« antwortete ihm. Wenig später erschien der Stationsleiter in der Kassenkabine und sah sich in der düsteren Halle suchend um. Kajetan trat auf ihn zu. Ein spärliches Lächeln des Wiedererkennens hellte die Miene des Beamten auf.
    »Hättens Ihnen gar nicht so beeilen brauchen, Herr«, sagte er, während er den obersten Kragenknopf schloss. »Der Fünfezug fällt heut aus. Lokschaden, irgendein Viehzeugs ist wieder mal aufs Gleis gelaufen. Der nächste geht erst wieder um drei viertel acht.«
    Kajetan ließ die Schultern hängen. Noch eine Nacht in dieser weltvergessenen Gegend? Der Stationsbeamte beruhigte ihn: »Wenns den Dreiviertelacht-Zug nehmen, könntens in Mühldorf den letzten Zug nach München grad noch erwischen.« Er deutete auf die Wartebank und ging zum Lichtschalter. »Mögens Ihnen derweil hinhocken? Ich reib Ihnen das Licht auf, wenns recht ist.«
    Er wartete Kajetans Antwort nicht ab. Eine trübe Deckenlampe flackerte auf. Der Beamte hob bedauernd die Schultern und gähnte. »So ist es halt einmal bei uns heraußen, gell? Passiert öfters, leider.«
    »Kann man nichts machen«, seufzte Kajetan.
    »Ja. Muss man nehmen, wies kommt.« Der Beamte lächelte traurig. »Aber man gewöhnt sich dran.«
    Kajetan nickte, nahm auf der Bank Platz und streckte die Beine von sich.
    Bleibt einem auch nichts anderes übrig, dachte er.
    Der Stationsleiter wirkte zerstreut. Er rieb sich die Hände. »Frisch ists geworden, gell?«
    Kajetan sah nach draußen. Die Nacht war schwarz. »Ist eben nimmer Sommer.«
    »Da habens Recht«, sagte der Beamte.

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