Am Ende eines Sommers - Roman
Schrei. Darren schreckt hoch und dreht sich zu mir um.
»Im Haus gegenüber ist eine Toilette.« Ohne mich anzusehen, reicht er mir meine Sandalen. »Sorry«, flüstert er, zum Tisch gewandt.
Als ich von der Toilette komme, schaue ich zurück und sehe Darren durch die Tür des Treibhauses. Er sitzt zusammengesunken auf dem Schemel, die Stirn auf die Hände gestützt.
Jake,
Weihnachten 1984
Als wir am letzten Schultag des Trimesters nach Hause kommen, verkündet Mum, dass wir Weihnachten auf der Isle of Wight bei ihrer Schwester Rachel verbringen werden. Die Taschen sind schon gepackt, und keine halbe Stunde später sitzen wir hinten in einem vergammelten Taxi und fahren zur Fähre nach Portsmouth Harbour. Keiner spricht. Mum sitzt in der Mitte; sie lächelt wie in einem Tagtraum und starrt auf die Straße. Andy sitzt auf der anderen Seite und dreht die Daumen, erst so, dann andersherum, stirnrunzelnd und stumm. Der Taxifahrer vorn raucht die ganze Zeit und hat sein Fenster zwei Fingerbreit heruntergekurbelt, der Rauch aus zweiter Hand weht an seiner Kopfstütze vorbei mir ins Gesicht. Ab und zu huste ich versuchsweise, aber er versteht nicht. Hin und wieder schaut er im Rückspiegel zu uns nach hinten, bricht aber selbst das Schweigen nicht. Der graue Himmel wird langsam schwarz, als wir uns dem Terminal nähern. Er ist mit Feenlichtern beleuchtet, die im Dezember-Nieselregen funkeln. Als das Taxi am Ticketschalter anhält, fangen Andy und ich an, das Gepäck aus dem Kofferraum zu laden, und Mum bezahlt den Fahrer mit ein paar zerknüllten Pfundnoten. Andy sieht mich besorgt an, als wir die Reisetaschen neben einem räudig aussehenden Schäferhund und seinem pennerhaften Besitzer auf den Asphalt absetzen.
»Was ist mit Dad?«, flüstert Andy, und sein Blick huscht zu Mum hinüber, die gerade aus dem Auto steigt und ihre Patchwork-Schultertasche an sich drückt.
Ich runzele die Stirn und schüttle den Kopf, bevor Mum es sehen kann. Andy sagt kein Wort mehr, bis wir im Café an Bord der Fähre sind, heiße Schokolade trinken und zusehen, wie die Lichter von Portsmouth versinken, während wir auf die spärlicheren Lichter von Fishbourne Harbour auf der Isle of Wight zufahren. Ob es dieses Jahr schneien wird? Und was wir wohl zu Weihnachten kriegen? Mum hat nicht viel eingepackt; also will sie vielleicht drüben einkaufen. Sie hat immer noch diesen stillen, weggetretenen Blick, und das ist mir unbehaglich. Ich werde nervös, wenn sie so aussieht. Und Andy hat recht. Was ist mit Dad? Ich wette, sie hat bei all dem gar nicht an ihn gedacht. Das ist wie eine Entführung, finde ich – nur schlimmer, weil sie unsere Mum ist, und sie hat uns irgendwie ausgetrickst, wir mussten mitkommen, bevor wir mit Dad reden oder ihm unsere Geschenke geben oder verabreden konnten, wann wir ihn an Weihnachten sehen werden. Am liebsten würde ich sie anschreien und schütteln, bis sie mit dieser Zombie-Nummer aufhört. Wer ist überhaupt diese verdammte Tante Rachel? Wenn sie so toll wäre, hätten wir sie schon längst getroffen, oder? Das ist das Problem mit Mum: immer wieder ein anderes Lied.
»Wieso wohnt sie auf der Isle of Wight?«, frage ich sie.
»Wer?« Mum blickt überrascht von ihrem Kaffee auf.
Ich schnalze mit der Zunge und schaue aus dem Fenster. Ich sehe nur mein Spiegelbild, bis ich das Gesicht an die Scheibe drücke und die Hände rechts und links neben die Augen lege. Ein Styroporbecher treibt im Wind über das Deck, wirbelt hoch wie ein Vogel und fällt dann wieder herunter wie ein Stein.
»Oh! Ja – natürlich. Tante Rachel«, platzt Mum heraus. »Ich weiß es nicht, Schatz. Wir fragen sie. Sie wird dir gefallen, und die Kinder sind wundervoll.«
»Dann kennst du sie schon?«
»Nein. Nein, noch nicht.«
»Woher willst du dann wissen, dass sie wundervoll sind? Es können auch richtige Miststücke sein.«
Mums Hand wandert zu ihrer Halskette und zwirbelt sie nervös. Ihr Daumen drückt das silberne Kreuz, und der Nagel wird wütend weiß. Sie will mich nicht ansehen, weil ich gerade alles verderbe.
»Rachel sagt, sie sind wundervoll – in ihrem Brief.« Jetzt sieht sie mich doch an, flehentlich.
»Was hast du ihr denn über uns erzählt?«
»Na, ich habe ihr erzählt, dass du dreizehn bist, ein großartiger kleiner Maler und ein ausgezeichneter Läufer. Ich habe ihr erzählt, dass Andy ein Ass in Mathematik ist und vielleicht mal das Superhirn der Familie wird. Und dass er fast elf ist und nächstes
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