Am Ende ist da nur Freude
Ihn gibt, und ich erinnere sie daran. Ich möchte, dass alle Menschen wissen, dass der Herr nie von unserer Seite weicht.
Eines Tages wurde ich auf die Intensivstation zu einer Frau namens Sally gerufen. Sie kam aus einem anderen Bundesstaat. Sie war in unsere Gegend gekommen, um ihre Tochter, ihren Schwiegersohn und ihr einziges Enkelkind zu besuchen. Doch ein paar Tage nach der Ankunft fiel ihrer Tochter auf, dass es der Mutter offensichtlich nicht gut ging, und sie brachte sie in die Notaufnahme.
Von dort wurde sie sofort auf die Intensivstation verlegt. Das war kein gutes Zeichen. Nach zahlreichen Tests und Auswertungen kamen die Ärzte zu dem Schluss, dass Sally
unter multiplem Organversagen litt. Sie hatte schon fast ihr ganzes Leben lang Diabetes und auch ihre Nieren funktionierten nicht richtig. Jetzt hatte, wie so oft, ein Dominoeffekt eingesetzt: Das Versagen eines Organs erhöhte die Belastung für die anderen. Schließlich stellten Lunge, Nieren, Herz und Leber ihre Funktion weitgehend ein.
Als ich auf der Station ankam, sagte man mir, Sally habe nicht mehr lange zu leben. Ich traf die Familie im Wartebereich und sagte ihnen, dass sie ihr nun helfen müssten, sich zu verabschieden. Das sei das Schwerste, was man sich vorstellen kann, aber auch das Wichtigste.
Es war etwa zehn Uhr vormittags, als wir wieder an Sallys Bett traten. Sie war noch wach und bei vollem Bewusstsein, aber es war offensichtlich, dass ihr Körper seine Funktionen rasch einstellte. Es gelang mir, die Familie dazu zu ermutigen, sie mit Liebe zu überschütten und ihr Dank zu sagen. Sally, die in den letzten paar Stunden kein Wort gesprochen hatte, setzte sich plötzlich auf und sagte mit klarer Stimme: »Jesus, du bist da.«
Mir fiel auf, dass sie an mir vorbei und leicht nach oben sah. Dann ließ sie sich zurücksinken, sagte »es ist vollbracht«, schloss die Augen und war still. Ihre Tochter und ich schauten uns an, sprachen aber kein Wort. Es war klar, dass wir beide gerade etwas Reines und Tiefes erlebt hatten. Nur wenige Stunden später tat Sally ihren letzten Atemzug und verschied.
Danach wandte ich mich an den behandelnden Arzt und fragte: »Stand Sally unter Schmerzmitteln?«
»Nein, überhaupt nicht«, antwortete er, versicherte mir aber, dass er ihr die nötigen Medikamente gegeben hätte, hätte er auch nur das kleinste Anzeichen für ein Leiden bemerkt.
»Stand sie unter irgendwelchen Medikamenten, die Halluzinationen hätten auslösen können?«
Der Arzt warf einen kurzen Blick auf ihre Karte und sagte, sie habe nichts dergleichen bekommen. Ich malte mir aus, dass ich diese Geschichte Kollegen erzählte. Deshalb wollte ich allen denkbaren Argumenten zuvorkommen, die sie eventuell vorbringen könnten, um Sallys Vision zu entkräften. Wenn das, was sie gesehen hatte, nicht die Folge irgendwelcher Medikamente war, dann würde man vielleicht versuchen, es auf Sauerstoffmangel im Gehirn zurückzuführen, dachte ich. Deshalb fragte ich den Arzt, ob sie unter Sauerstoffmangel litt, als ich bei ihr war.
Er sah mich neugierig an und meinte: »Na, da liegt doch was in der Luft. Worauf wollen Sie hinaus?«
Ich erzählte ihm die Geschichte. Daraufhin untersuchte er Sallys Karte akribisch wie ein Detektiv. Ihre Vitalfunktionen waren eingeschränkt, aber das Pulsoximeter (zur Messung des Blutsauerstoffs, d. Ü.) zeigte zufriedenstellende Werte. Danach erklärte der Arzt: »Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass keine Medikamente verabreicht wurden, die Halluzinationen hervorrufen, und dass ihre Sauerstoffversorgung offensichtlich ausreichend war.«
Er hielt einen Moment inne, dann fuhr er fort: »Herr Pfarrer, Sie sagen, Sie helfen den Menschen, zu Gott zu
kommen. Vielleicht ist heute Jesus zu ihr gekommen, und Sie waren einfach Zeuge. Das passiert übrigens ständig; es möchte bloß niemand darüber sprechen.«
»Warum nicht?«
»Nun, das verhält sich so: Ich möchte, dass andere Ärzte ihre Patienten an mich überweisen; und ich möchte als kompetent, fachlich versiert und fit in den neuesten Behandlungsmethoden angesehen werden. Würde ich nun herumerzählen, dass meine Patienten auf dem Sterbebett Visionen haben, meinen Sie, ich würde dann ernst genommen?«
Er klopfte mir auf die Schulter und lächelte: »Und jetzt erzählen Sie nicht im ganzen Krankenhaus herum, worüber wir uns unterhalten haben.«
Ich war dem Arzt dankbar für seine Freundlichkeit und dafür, dass er über sein Geheimnis mit mir gesprochen
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