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Am Ende ist da nur Freude

Am Ende ist da nur Freude

Titel: Am Ende ist da nur Freude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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das Atmen fiel ihr jeden Tag schwerer. Als Felicia sich erschöpft fühlte, fuhr ihre Tochter Carole mit ihr in ein Reformhaus und kaufte ihr Vitamine, Proteindrinks und Rohkost. Felicia tat ihr den Gefallen und nahm alles, aber nichts konnte ihre Energie und ihr Wohlbefinden wiederherstellen.
    Sechs Monate lang ging Felicia nicht mehr mit Freundinnen aus und telefonierte stattdessen lieber. Doch mit der Zeit wurde ihr das Atmen sogar noch beschwerlicher. Im Gespräch musste sie auch an unpassenden Stellen Pausen machen, um Luft zu holen, und ihre Freunde und Familie machten sich allmählich Sorgen. Felicia frustrierte das gewaltig, denn statt ihr zuzuhören, lauschten sie nur noch auf ihren Atem und sprachen ausschließlich über ihre Krankheit. Einmal sagte sie ihrer Freundin Joan: »Ich habe Schwierigkeiten mit dem Luftholen, das weiß ich. Können wir es jetzt dabei belassen und uns einfach unterhalten?«
    Bald ging Felicia gar nicht mehr ans Telefon, weil es so frustrierend und ermüdend für sie war. Carole machte sich Sorgen, denn ihre Mutter war immer ein kontaktfreudiger Springinsfeld gewesen, und ihr Leben hatte früher aus Bridge und Kinobesuchen mit Freundinnen bestanden. Aber das war nun vorbei.
    Ein paar Monate später stellte Felicia das Sprechen komplett ein, nicht weil sie nichts mehr hörte oder nicht
sprechen wollte, sondern weil der simple Akt des Sprechens sie über alle Maßen anstrengte. Als allen klar war, dass sie dem Tod sehr nahe war, kam ihre Familie zusammen und wechselte sich an ihrem Bett ab. Ich war da, um ihnen jede erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen. Felicia setzte ihr Schweigen fort, bis sie sich eines Tages kerzengerade aufsetzte und ihrer Tochter winkte, sie solle da hinschauen, wo sie hinzeige.
    »Siehst du sie nicht?«, fragte Felicia. Ihre Stimme klang glockenklar, und ihre Atmung war zum ersten Mal seit Monaten wieder regelmäßig und gleichförmig.
    »Wen soll ich sehen?«
    »Ich sehe eine Kaimauer, und dort ist dein Dad, Großmutter, Großvater und dein Onkel.«
    Felicias Bruder war vor vielen Jahren mit etwa Mitte 20 gestorben, ihr Mann war vor gut zehn Jahren mit über 70 einem Herzinfarkt erlegen.
    »Ich sehe sie immer noch nicht«, sagte Carole.
    »Sie sind alle da!«, rief ihre Mutter aus, »sie stehen am Kai und warten, dass ich rüberkomme.« Sie hielt inne und wandte sich dann direkt an die, die sie anschaute: »Am Kai ist kein Boot, wie soll ich zu euch allen rüberkommen? «
    Carole hatte keine Ahnung, was sie ihr darauf antworten sollte. Ich wusste selbst nicht, was ich sagen sollte, aber ich wusste, dass Felicias Frage nicht an uns gerichtet war und dass sie zum richtigen Zeitpunkt die Antwort finden würde.
    Am nächsten Tag sagte Felicia ganz ruhig: »Das Boot ist endlich am Pier.« Das waren ihre letzten Worte. Am Ende starb sie in Frieden.

Der richtige Bus
    von Gwen
     
    Ich arbeite bei einer Einrichtung, die vor allem Menschen mit Behinderung hilft, ein normales Leben zu führen. Unter den Klientinnen, die unter unserer Obhut aufwuchsen, war auch Sharon, eine lebhafte junge Frau, die stets anderen helfen wollte. Sie war eine gute Seele und versprühte eine dynamische Lebendigkeit; deshalb baten wir sie oft, die Interessen von Menschen mit Behinderungen zu vertreten, die Barrierefreiheit und eine gleichberechtigte Behandlung ohne Diskriminierung verdienten.
    Sharons Herausforderung war eine geistige Behinderung. Weil ihre Eltern sie nicht versorgen konnten, hatten sie sie als Kind in einer großen psychiatrischen Anstalt untergebracht. Damals wurde sie wohl als »geistig zurückgeblieben« eingestuft, aber das war zu dieser Zeit eine Universaldiagnose für viele Störungen, wenn die Patienten nicht die normale Schule besuchen konnten oder nicht ausreichend getestet worden waren, um eine Störung von der anderen zu unterscheiden.
    Sharon wurde in eine betreute Gruppe verlegt, konnte dann aber sogar selbstständig in einer Wohnung leben.
Schon fast ihr ganzes Leben lang litt sie unter Diabetes, doch als sie über 40 war, wurde die Krankheit sehr schwer und kräftezehrend. Als ihre letzten Tage nahten, fing sie an, vom Warten auf den Bus zu sprechen. (Zwar konnte sie nicht Autofahren, aber diese bemerkenswerte Frau war sehr selbstständig und fuhr mit dem Bus überallhin, wohin sie wollte.)
    Aufgrund der Komplikationen durch den Diabetes war Sharon ans Bett gefesselt. Immer häufiger sprach sie von dem Bus, auf den sie wartete. Wegen ihrer geistigen

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