Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
erkennen.
Ich wende mich wieder Maria zu. Ihre schönsten Haare sind die Wimpern. Lang und glänzend wie frisch gebohnerte Mini-Halfpipes. Wenn wir neben- oder aufeinanderlagen, pustete ich die gerne an.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du stattdessen machen willst, Max.«
Die Stelle im Milchschaum, durch die der Zucker gesunken ist, hat die Umrisse eines Seepferdchens und ich antworte: »Erinnerst du dich an Jacques Cousteau?«
Sie bohrt nicht weiter. Mag sein, dass sie sich an unseren Tag am See erinnert, an das Gefühl, nachdem sie ihre Entscheidung getroffen hatte.
Alles, was sie sagt, ist: »Du könntest doch auch zu uns kommen.«
Und ich antworte: »Vielleicht später.«
Jetzt fahren wir wieder den Hügel zu unserem Haus hinauf, und es kommt mir vor, als wäre ich Monate fort gewesen. Das Haus sieht so aus, als wüsste es, was geschehen ist, scheint noch näher an den Wald gerutscht zu sein. Gebückt wippen die Blumen im Garten, etlichen hat der Hagel das Genick gebrochen. Weinblätter kleben auf dem Terrassenboden und den Fenstern, die Regentonne ist umgekippt und in den Fliederbusch gerollt.
»Ich warte auf dich«, sagt Maria und zieht die Handbremse an.
Die Schritte fallen mir so schwer, als ginge ich mit metallbeschlagenen Sohlen auf einem Magneten.
Ich hole die Post aus dem Briefkasten, packe meine dreckige Wäsche in den Keller. Mehr schaffe ich nicht. Bald danach fahren wir einen anderen Hügel hinauf. Zu einem Haus, in dem noch Menschen leben.
40
Lio bellt laut hinter der verschlossenen Tür, benimmt sich wie zu Hause, mimt den Wachhund. Er springt mich an und schleckt mir das Kinn, weicht jedoch relativ schnell zurück und sieht sich um. In seiner Welt gibt es noch immer diese Frau, die ihn ermahnt, brav zu sein.
Wir steigen über ein umgedrehtes Skateboard, ein Ölfläschchen für dessen Kugellager und zwei an Jan adressierte Briefumschläge hinweg.
Ich frage: »Wo sind sie alle?«
Maria antwortet: »Einkaufen. Hast du auf was Spezielles Appetit? Ich kann sie anrufen und bitten, es mitzubringen. Du darfst das Essen nicht vergessen, Max. Viel zu mager bist du.«
Das Essen nicht vergessen. Mein Umfeld scheint besessen von meiner Mutter zu sein.
Nach dem Abendessen – ich habe zweimal Suppe nachgeschöpft, geschlürft und den Löffel extra laut und mit Seitenblick zu Maria über das Porzellan gleiten lassen – sitzen wir im Vorderhof. Die Sonne ist spontan doch noch in die Vollen gegangen und wärmt unsere Gesichter, erhellt das Tal. Pelle hüpft mit seinem frisch geölten Skateboard auf der Straße über eine leere Bierkiste, Anton und Julia spielen Boule auf der Wiese. Für die Insekten muss es sich anfühlen, als schauerten in regelmäßigen Abständen Asteroiden auf sie nieder. Julia sieht mit ihrem Embryo-Bauch aus wie die Mutter aller Boulekugeln und ist dabei, das dritte Spiel in Folge zu verlieren. Ich sitze mit Jan und Maria an die Hauswand gelehnt. Wir schweigen und haben alle drei unsere Hosen hochgekrempelt. Jan hat die haarigsten Beine, Maria die zerstochensten. Sie kann sich im Sommer nie lange an stillen Gewässern aufhalten. Sie hat zu süßes Blut, an ihrem gesamten Körper winzige Narben vom Kratzen. Ich habe die käsigsten Beine. Man sieht mir Griechenland nicht an, wenn man es nicht weiß.
Mir fällt die ungeöffnete Post ein, sowohl die aus unserem Briefkasten als auch die an Jan.
»Ich muss die Post durchsehen und den Bestatter anrufen. Da lag auch was an dich im Flur, Jan. Hast du gesehen?«
»Ja, hab ich. War nichts Wichtiges.«
Du lügst noch schlechter als ich, Jan Kranig.
41
Valentin steht neben mir, unsere Schultern berühren sich. Der Pfarrer predigt mit lascher Stimme, viele sind gekommen, um Erde und Blumen auf meine Eltern zu werfen, um zu sehen, wie ich mich schlage.
Onkel Georg und meine Tante, sogar mein verblödeter Cousin, der natürlich Sport studiert hat, bis ihm beim Hockey mehrere Bänder kompliziert gerissen sind. Heute arbeitet er bei Heckler & Koch.
Hannah sieht man an, dass sie nicht hierhergehört. Ihr gesenkter Blick unterscheidet sie von der restlichen Trauergesellschaft. Er ist konzentriert und kein Stück neugierig auf die anderen Gestalten im Halbkreis.
Maria hält die Hand ihrer Mutter, lässt, als sich unsere Blicke treffen, schnell los, sie sieht nicht aus wie jemand, dessen Plan aufgegangen ist.
Jan wirkt am gefasstesten, wie ein Routinier in Sachen Verlust. Als meine Eltern hinabgesetzt werden, berührt auch
Weitere Kostenlose Bücher