Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
Ioannis weiterreichen, doch er wehrt ab.
»Er schießt nie«, sagt Timon.
»Warum lässt er uns dann schießen?«, frage ich.
Timon antwortet: »Er hat mal zu mir gesagt, dass nichts fürchterlicher ist, als auf einen Menschen schießen zu müssen. Er hofft, dass ich nie in so eine Situation komme, keinen Krieg mitmachen muss. Aber wenn doch, dann kann ich es wenigstens … im Gegensatz zu Gavriíl damals.«
Ich verstehe es, betrachte Ioannis, der über den Rand in die Ferne blickt. Jeder hat seine Methode, mit dem Schmerz umzugehen. Die einen bringen ihren Lieben das Schießen bei, die anderen versuchen einen Film zu drehen. Mir fällt sein Angebot von vorhin ein.
»Timon, du hast doch gesagt, er könnte mir statt des Chamäleons etwas anderes zeigen. Was hat er damit gemeint?«
Durch das Kameraobjektiv zoome ich eine kleine Höhle unterhalb eines alten, bulligen Olivenbaums heran. Ioannis und Timon haben mich allein gelassen und gesagt, dass ich ein wenig Geduld haben soll, doch langsam werden meine Arme müde. Ich bin im Begriff aufzugeben, da verlässt etwas den Bau. Und noch etwas.
Vor kurzem erst geworfene Feldhäschen hoppeln ins Bild.
54
Ich danke Ioannis. Er nimmt seinen Stock und geht, macht sich auf, die Ziegen zusammenzutreiben, trällert ein Lied dabei. Bevor er ganz im Gelände verschwunden ist, dreht er sich noch einmal um, klopft auf seine Hosentasche und ruft Timon etwas zu.
»Was sagt er?«
»Dass er die Schlüssel für den Waffenschrank ab sofort immer bei sich tragen wird.«
Uns bleibt genügend Zeit, um Rethymno tatsächlich noch einen Besuch abzustatten.
Nachdem wir das Bergland hinter uns gelassen haben, stoppen wir auf einem Parkplatz. Ausgedörrtes Buschwerk prägt das Bild. Unter den Büschen liegt, wie faulige Baumwolle, ein benutztes Papiertuch am nächsten. Hier wird geschissen, gewichst und menstruiert, und der Parkplatz soll es schlucken. Ich pisse eins der Papiere weich, lege einen dunkelroten Tampon frei. Bevor ich zurück ins Auto steige, werfe ich einen Blick in einen der drei großzügigen Abfalleimer. Lediglich der Boden des eingestülpten blauen Müllsacks ist gerade so bedeckt. »Enjoy the beautiful countryside of Crete« steht in zerlaufenen Buchstaben auf einem weggeworfenen Flyer.
Urlauber schlappen in Flip-Flops über die Festungsmauern. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich den Wind, der in heißen Schüben durch die Ritzen pfeift, für ein Weinen halten. Ich knipse ein paar Alibibilder für Hannah. Anschließend kaufen wir uns mit Spinat gefüllte Pasteten und mäandern Richtung Altstadt. Timon kennt dort einen Laden für günstige Elektronik. Ich erwerbe ein angeblich kinderleicht zu handhabendes Schnittprogramm.
Die Wellen klatschen gegen unsere Bäuche. Etwas weiter draußen düst ein Motorboot vorbei, das eine vollbesetzte Banane hinter sich herzieht.
»Wer die Luft länger anhalten kann«, schlägt Timon vor.
55
Meistens bin ich der Letzte, der zum Frühstück erscheint. Auch heute ist das so. Durch den Türspalt sehe ich der Familie Peleus zu, wie sie im freundlichen Morgenlicht beisammenhockt und sich das Brotkörbchen zuschiebt. Timon legt sich ein Brötchen auf die Nase, versucht zu balancieren, wie ein Seehund. Ich möchte ein Eisbär sein oder ein Weißer Hai oder ein Orca. Oder er.
Dann nimmt Hannah ihre beiden Männer an den Händen und sagt: »Ich bin so glücklich, dass wir so viel Glück haben.«
Tatsächlich sagt sie etwas auf Griechisch, was ich nicht verstehen kann, sehen die drei nicht sonderlich glücklich aus.
Wenn ich es mir überlege, war ich nie ein großer Frühstücker, ist der Strand morgens am schönsten. Ein menschenleerer, rauschender Ort, nur ein paar Krabben spazieren durch die Wellen oder treiben tot darin.
Leise kehre ich der Familie den Rücken.
Während ich auf das Meer zugehe, wird mir klar, dass man auf einer Insel immer aufs Meer zugeht. Es wird zwangsläufig. »Was nehmen Sie mit auf eine einsame Insel?«
Ein Schiff oder ein Flugzeug, wäre meine Antwort. Etwas, das einem die Sicherheit gibt, jederzeit wieder zurück- oder weitergehen zu können. Ich schaue schräg an den Klippen vorbei, irgendwo in dieser Richtung liegt der Flughafen.
56
Der Computer raunt, Skype ist bereit. Valentin und ich waren für 22 Uhr verabredet, aber er hat mir einen Text hinterlassen, muss Überstunden fahren. Dafür ist Maria online und klingelt mich an. Etwas unwillig stelle ich den Kontakt her.
»Hallo
Weitere Kostenlose Bücher