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Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)

Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)

Titel: Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabian Hischmann
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dort vergessen.
    Vom Strand ein Rauschen, pausenlos.

50
    Der Wind bläst die Tischdecken aus den gespannten Gummibändern in die Speisen der Gäste. Dünne Katzen schieben sich zwischen den Füßen hindurch, lauern auf etwas zu fressen.
    Vorher haben Timon und ich die Garnituren, die Essig- und Ölflaschen abgewischt. Spaßeshalber haben wir Zahnstocher aus den Tütchen geschoben, sie uns zwischen die Zähne gesteckt, um sie dann wieder vorsichtig zurück in die Verpackung zu schieben. Einer der Leder-Holländer steckt sich gerade ein Hölzchen in den Mund.
    Mein zweites Bier kühlt die rechte Schläfe. Timon sitzt mir, sein aufgeklapptes Notebook vor sich, gegenüber und chattet mit zwei fünfzehnjährigen Mädchen aus Chania. Im Tippen presst er die Zunge konzentriert von außen an die Oberlippe. Auf dem Weg zur Toilette zwinkert uns der Holländer an, nimmt den Zahnstocher dafür kurz aus dem Mund. Ich und Timon nicken freundlich und sehen ihm hinterher. In seinem Nacken klemmt eine bunt verspiegelte Sonnenbrille.
    Timon sagt: »Bei dem ist es wie anspucken.«
    Es gibt bei der Zahnstochersache zwei Optionen für Timon: Falls ein hübsches Mädchen – von Jungs spricht er nicht, aber das muss nichts heißen, habe ich zu Valentin gesagt – einen seiner Zahnstocher benutzt, dann küsst sie ihn, ohne es zu wissen, aber auch ohne weitere Konsequenzen für ihn. Dem ganzen Rest spuckt er einfach heimlich ins Maul. »Du bist ein Gangster«, raune ich, schlucke eine große Menge Bier und schließe die Augen.
    In meiner Vorstellung ist Timon um einiges älter und injiziert die gefährlichsten Gifte mit Spritzen in Dosen und Plastikbeutel. Er ist der meistgesuchte Lebensmittelterrorist der Welt geworden. Und ein Waisenkind.
    Hannah und Silas sterben an ihrem Olivenöl, von dem sie immer dachten, dass es sie extra alt werden lässt. Timon schickt mir Jahre später eine E-Mail aus dem Untergrund. Darin heißt es: Jetzt sind wir quitt, Gastbruder. Hast du Interesse, meine Geschichte zu verfilmen?
    Ich antworte, dass »quitt« in diesem Zusammenhang nicht ganz korrekt ist, da Hannah und Silas ja von ihm umgebracht wurden und nicht von mir und ich mich momentan an der Westküste der Vereinigten Staaten befinde, voll ausgelastet mit der Suche nach zwei der seltensten Tiere der Welt, dem Kalifornischen Insel-Graufuchs und dem Kalifornischen Schweinswal.
    Du wirst immer der Lehrer bleiben , schreibt er zurück.
    Es ist das Letzte, was ich von ihm höre. An seinem dreiunddreißigsten Geburtstag erschießt er sich vor einer englischen Sprachschule in Valletta.
    Hannah ruft aus der Küche. Die Holländer fressen Pommes ohne Ende.
    Nach Feierabend schnappe ich mir Taschenlampe und Kamera. In der Bucht nebenan, im Stauwasser eines muschelgesäumten Felsens, wohnen Krebse. Ab und zu bringe ich ihnen Fischstücke und nehme sie beim Zerteilen und Wegschaffen auf.
    Cut.

51
    Sie landet und setzt an, dann schlage ich zu.
    Um mich herum kleben ungefähr ein Dutzend toter Mücken. Nachts klatsche ich sie an die nackten Wände, platzt mein Blut aus ihren Körpern heraus und ergibt spontane Bilder. Eins ähnelt einem Reiter im Galopp, der Rest ist abstrakt. Ich habe mir eine Familientube Fenistil und einen kleinen Topf mit weißer Farbe besorgt. An jedem Sonntag kratze ich die vertrockneten Körper ab und überpinsele die Malheure.
    Unruhig drehe ich mich vom Bauch auf den Rücken und wieder auf den Bauch. Mein Magen poltert und zuckt, als ob jemand darin flippern würde.
    Im Badezimmer hämmere ich mit den Fingern gegen die Kacheln, drückt sich Schweiß aus allen Poren. In mir rumort und krampft es heftiger. Ich verziehe das Gesicht, Spucke seilt sich aus dem Mund auf den Boden ab, landet zwischen entwurzelten Haaren und Sandkörnern. Ob ich jetzt auch sterben muss? Ob es hier im Winter wohl schneit?
    Aus der Dose auf der Armatur lugt ein Zipfel Rasierschaum. Ich beiße die Zähne zusammen, greife den Schaum und sprühe drauflos, drücke meinen Daumen blau, verwandle das Waschbecken in ein verschneites Tal, das nach Kamille duftet. Jemand drückt die Klinke von außen. Ich drehe den Hahn auf: Sturzwasser, Schneeschmelze. Mit gepresster Stimme vertröste ich den Störenfried: »Moment noch.«
    Rasch bringe ich das Waschbecken in Ordnung und öffne die Tür.
    Und da steht Hannah. Ihre Augen sind klein wie Hemdknöpfe. An manchen Tagen denke ich, dass sie meiner Mutter sehr ähnlich sieht, daran, wie es sein könnte, wenn die drei sich anders

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