Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
Tür, eigentlich mehr ein Brett, ist angelehnt, wirft schiefes Licht auf den Fliesenboden. Timon ruft Ioannis’ Namen, ohne Antwort treten wir ein. Im Gebäude ist es finster wie in einem Stollen und angenehm kühl. Gleich links neben dem Eingang hängt eine Fotografie: Zwei junge Männer mit geschulterten Flinten. Ich nehme an, dass es sich bei einem davon um Ioannis selbst handelt. Darüber ein X aus zwei echten Gewehren. Timon stellt das Licht an und ruft wieder nach Ioannis. Wir hören ein Räuspern, drehen uns um und sehen in das Gesicht eines alten Mannes.
Ioannis sieht aus wie Popov aus den Janosch-Geschichten, hält einen Spazierstock in der einen und ein getigertes Katzenjunges in der anderen Hand. Er entlässt das Tier auf den Boden und lehnt den Stock an die Wand. Dann geht er auf Timon zu und gibt ihm, halb Ernst, halb Spaß, was hinter die Löffel, murrt ein paar griechische Wörter. Timon schiebt seine Gürteltasche nach vorn und überreicht Ioannis rotbäckig und geduckt den Inhalt. Er nimmt die Pistole und geht an uns vorbei. Ich sage: »Von wegen nix gemerkt.«
Timon antwortet: »Halt die Klappe, Gastbruder.«
Als er die Waffe weggepackt hat, kommt Ioannis zurück und stellt Timon die Frage, die ich ihm auch stellen würde. Er antwortet, sieht abwechselnd Ioannis und mich an, mein Name fällt mehrmals. Der Ausdruck des alten Mannes verändert sich kaum, vielleicht weiten sich seine Nasenflügel minimal, als er das von meinen Eltern hört. Er reicht mir die Hand.
»Kalimera, Max.«
»Kalimera.«
11.30 Uhr. Wir naschen salzige Oliven und Kümmelkäse, trinken Schnaps aus Wassergläsern. Mir wird warm ums Herz und ich traue mich, Fragen zu stellen.
Max: »Hat er in letzter Zeit ein Chamäleon gesehen?«
Timon: »Nein, aber er wird dir später etwas anderes zeigen.«
Ich nehme einen Schluck.
Max: »Wer ist das auf dem Foto?«
Timon: »Das sind Ioannis und sein Bruder Gavriíl. Aufgenommen ein paar Tage bevor sie Gavriíl im Krieg erschossen haben.«
Noch ein Schluck.
Max: »Meinst du, ich darf später auch mal schießen?«
Ioannis steht auf und verschwindet irgendwo in seinem Haus.
Timon: »Éla!«
Max: ?
Timon: »Komm!«
Ich trinke das Glas aus und folge ihm.
53
Timon erzählt Ioannis, dass er heute schulfrei hat. Ioannis scheint das glauben zu wollen. Er sieht jedenfalls überzeugt aus.
In den vergangenen Stunden haben Timon und ich fleißig gelogen. Hannah wähnt ihn im Matheunterricht und mich in Rethymno, Kretas drittgrößter Stadt an der Nordküste.
Ich gab vor, mir tagsüber die Festung dort ansehen zu wollen, sprach von Mauerseglern, idealen Bedingungen, Sightseeing und Tieraufnahmen zu verbinden. Abends würden Timon und ich schwimmen gehen und spätestens um acht, zur Stoßzeit in der Taverne, wären wir wieder zurück.
Darauf sagte sie: »Ich wünsche dir einen tollen Ausflug. Tank in der Stadt, da ist es billiger.«
Wir marschieren durch den Hain. Ioannis geht voran, eine Schrotflinte untergeklemmt.
Fingerlange Grillen schnellen empor, Eidechsen huschen von Sonnensteinen ins Unterholz. Ich bin aufgeregt, gebe mich, bei jedem Blick, den mir Timon über die Schulter zuwirft, jedoch möglichst cool.
Ioannis’ Grundstück endet auf einem Klippenvorsprung. Von dort kann man in eine Schlucht einsteigen, davon gibt es hier massenhaft. Auf jeder zweiten Hinweistafel steht Gorge. Auf allen steht Taverna.
Nah der Kante wurde eine Zielvorrichtung aufgebaut und im Boden verankert. Ioannis tauscht die benutzte Scheibe gegen eine frische aus. Plötzlich wüsste ich gern, ob oder wie viele Menschen er im Krieg getötet hat und warum er seit dieser Zeit nicht genug vom Schießen hat. Der Schnaps ist alle, ich traue mich nicht zu fragen.
Ioannis kommt zurück und drückt Timon das Gewehr in die Hand. Der schaut mich an, die Vorfreude glänzt in seinen Augen, und sagt: »Action, Max.«
Peng!
Der Kolben prallt durch den Rückstoß gegen meine Schulter. Solch männliche Aktivitäten ist sie nicht gewohnt, bisher musste sie nur meine Schultasche tragen und zuweilen betrunkene oder traurige Köpfe. Ich treffe ziemlich in die Mitte. Ioannis und Timon nicken anerkennend. Timon fragt: »Hast du wirklich noch nie geschossen?«
Ich bin selbst überrascht, blicke aber nur kurz geheimnisvoll auf und drücke ein zweites Mal ab. Diesmal donnert die Munition ins Leere, echot durch die Schlucht. Timon lacht beruhigt, alles andere hätte ihn wohl nervös gemacht. Ich möchte die Flinte an
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