Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
Maria.«
»Hallo Fremder. Zeig dich mal!«
Ich schalte die Webcam ein.
»Siehst du mich jetzt?«
»Ja, du hast Farbe gekriegt. Siehst du mich auch?«
»Du bist verpixelt.«
»Verpickelt?«
»Verpixelt!«
»Ach so. Keine Ahnung, ich habe jedenfalls vollen Empfang.«
Nach kurzer Pause fragen wir gleichzeitig: »Wie geht’s?«
Timon platzt, ohne anzuklopfen, ins Zimmer.
»Was machst du, Gastbruder? Hast du noch –.«
Er führt seine Finger im V an die Lippen.
»Warte mal kurz, Maria … Ich bin beschäftigt, Timon … vorne im Rucksack müssten noch Kippen sein.«
Timon hält seinen Daumen hoch.
»Wer ist das?«, fragt Maria.
Und Timon steigt ein: »Ja genau, mit wem telefonierst du?«
Er tritt hinter mich, beugt sein Gesicht ins Bild.
»Hey. Ich bin Timon.«
»Maria.«
»Du bist hübsch.«
»Und du bist direkt.«
»Südländer.«
Selbstsicher zupft er an seinem T-Shirt.
»Komm, Timon, ist gut jetzt.«
»Schon klar, ihr wollt eure Ruhe. Na denn: Jiá su, hübsche Frau.«
Mit einem eindeutigen Grinsen verschwindet Timon aus dem Zimmer.
»Ein lustiges Kerlchen.«
»Ein Junge eben. Er geht davon aus, dass wir jetzt Telefonsex haben.«
»Also los.«
Wir lachen.
»Wie ist Kreta?«
»Es war die richtige Entscheidung. Ich filme viel.«
Wir schweigen und die Verbindung macht ein Geräusch, als föhne jemand Haare.
»Und bei euch? Benimmt Lio sich gut? Julia ist bald so weit, oder?«
»Julia und Anton sind für die Entbindung und die erste Zeit danach in Saarbrücken bei Julias Eltern. Es kann jeden Tag so weit sein. Anton ist schon genervt, weil wir ihn ständig anrufen und nachfragen. Hoffentlich geht alles gut. Und Lio, der ist fit, er ist viel mit uns im Wald unterwegs … aber Jan …«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist still geworden, stiller als sonst … irgendwas bedrückt ihn. Wenn ich frage, blockt er ab und sagt, dass ich aufhören soll, Therapeutin zu spielen.«
»Dann solltest du das akzeptieren.«
»Das sagst du so leicht.«
»Es ist einfach so.«
»Wahrscheinlich hast du recht, na ja, gut ist, dass er wieder einen Job hat.«
»Wo denn?«
»Im Lebensmittel-Großmarkt in Schwenningen. Gerade macht er den Gabelstaplerschein.«
Der Fön läuft auf Hochtouren.
»Und wann kommst du wieder, Max?«
»An Weihnachten, denke ich.«
»Hier hat es schon geschneit, ist aber nicht liegen geblieben … Weihnachten, schön. Ich freu mich.«
»Ich muss jetzt schlafen, Maria. Morgen machen Timon und ich eine Bergwanderung.«
»Klingt toll. Ich bin auch müde. Pass auf dich auf, Max!«
»Du auch.«
Die Haare sind trocken, wir klicken unsere Gesichter aus.
57
Wir kraxeln auf den Gingilos, einen Gipfel im Westen der Weißen Berge, treten kleine Gerölllawinen los und pfeifen in die Samaria-Schlucht. Früher verschanzten sich Partisanen oder Räuber in ihren Tiefen, heute erschrecken wir höchstens ein paar betagte Wanderer und Ziegen, die durch den Fels stolpern.
Die Aussicht, das Wechselspiel schattiger und sonniger Kanten, die an das gescheckte Fell eines uralten Tieres erinnern, bannt mich. Timon hat bereits einen beträchtlichen Vorsprung und ruft mir zu, dass wir nicht trödeln dürfen.
Von einem Freund von Silas, der bei der Bergwacht arbeitet, haben wir erfahren, dass nahe dem Gipfel Steinadler brüten und das Nest von einem Pfad aus gut einzusehen ist.
Während mein Puls in den Schläfen pocht, stelle ich mir eine riesige Steinadlermutter vor, die sich im Sturzflug eine Ziege greift. Die umgehängte Glocke des Paarhufers bimmelt durch das Bergpanorama.
Eine Quelle sprudelt am Ziel der ersten Etappe. Wir ziehen unsere Wanderschuhe aus, benetzen Stirn und Nacken mit dem kühlen Wasser. Mehrfach frage ich Timon, ob man es trinken kann.
Nachdem mein Durst gestillt ist, habe ich große Lust dazu, mich auf einem der großen Steine auszustrecken. Doch Timon schnürt sich bereits die Schuhe.
»Weiter geht’s, Max. Wir brauchen mindestens noch eine Stunde.«
Am Treffpunkt, einer kleinen Hütte unterhalb der Bergspitze, hat Fílippos, der Freund von Silas, Posten bezogen. Es sind laue Arbeitstage für ihn Anfang November, nur noch wenige Touristen machen die Tour und überschätzen sich.
Mit einer Temperatur von 24 Grad ist es der wärmste Novembertag, den ich je erlebt habe. Dennoch befürchte ich, dass ich später noch frieren könnte und es ein Fehler war, meine atmungsaktive Übergangsjacke im Auto zu lassen.
Den Berg zu erklimmen ist eine seltsam-feierliche Angelegenheit,
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