Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
sich Spieler trotz der Kälte Schachduelle, auf der schneebedeckten Rasenfläche trainiert eine chinesische Cheerleader-Truppe Spagat. Die Straßenstände bieten lebendige Schalentiere und japsende Fische an, batteriebetriebene Plastikkatzen winken mit den Pfoten, Tintenfischarme hängen aus Kisten und nackte Enten baumeln von den Decken.
Hungrig lande ich in einem unscheinbaren Imbiss und werde von der resoluten Bedienung dazu aufgefordert, Platz zu nehmen. Sie bringt eine Karte, die ich nicht lesen kann. Als sie wissen will, was ich möchte, zeige ich hilflos auf die dampfende Schüssel des schlürfenden Mannes neben mir. Sie nickt und serviert mir Sekunden später das Gleiche. Ich schnuppere an der Oberfläche und rühre um. Außer Zitronengras und Koriander kenne ich nichts von dem, was da in der Brühe trudelt. Besorgt schaue ich mich um. Zögerlich durchsteche ich die Fettaugen mit den Stäbchen.
Für alle Fälle besorge ich mir Magentropfen in einer Apotheke auf der Canal Street. Ich habe alles aufgegessen und die Bedienung hat gelacht und mir auf die Schulter geklopft.
Das war es wert.
Unter mir schippert der Fährbetrieb von Manhattan nach Brooklyn, über mir zieht ein Flugzeug vorbei. Vor ein paar Jahren musste so ein Jet auf dem Hudson River notwassern. Heute verschwindet das Flugzeug über den Wolken.
Eine Familie fotografiert sich vor der Brüstung. Die Tochter streckt dem Blitz ein Peace entgegen, der Sohn ein Fuck you, was den Vater zur Weißglut treibt. Er brüllt laut und ich freue mich ein bisschen, denn er brüllt auf Griechisch. Ein junges Paar tritt ans Geländer und wirft beherzt eine mit Papier gefüllte Plastikflasche in den East River. Die Frauengruppe neben ihnen erkundigt sich, um was für eine Flaschenpost es sich handelt.
»That’s a secret. It’s only for the one who’ll find it«, antwortet das Paar.
Man sieht dem Nicken der Frauen an, dass sie gerne die Finderinnen wären.
Ich mache mich auf den Rückweg ins Hotel, will noch in die Badewanne, mir etwas Mut antrinken.
68
Jetzt stehe ich hier, vor dem Waffengeschäft namens GunTown, habe 3000 Dollar in bar und kann nur hoffen. So wie ich jahrelang gehofft habe, dass alles von selbst wieder gut wird.
Ich gehe durch die Tür, ein Glockenspiel ertönt, kein anderer Kunde ist im Laden. Der Mann hinter dem Tresen setzt gerade einen Colt zusammen. Er sieht auf.
»Hey there.«
»Good evening, Sir.«
Keine Ahnung, warum ich ihn »Sir« nenne. Vielleicht, weil das hier der militaristischste Ort seit meiner Musterung ist. Hinter ihm hängen die Stars and Stripes an der Wand, eine Reihe von drei Bildern.
Oben: Ein junger GI vor einem Hubschrauber, im Hintergrund Palmen. Vietnam, schätze ich. Jan wüsste das besser.
Mitte: Eine junge Rekrutin vor einem Panzer inmitten von Sand. Vielleicht seine Tochter, vielleicht Irak oder Afghanistan.
Unten: Vater und mögliche Tochter vor einem Märchenschloss. Disneyworld 1999.
»What brings you here?«, fragt er.
Das Geräusch der Faust, als sie aufs Gesicht des Mädchens trifft, meine Eltern in tausend Teilen, Suzies Augen –
Ich lege das Bündel auf den Tisch und sage: »I need a gun.«
Der Mann mustert mich jetzt wirklich. Dieses Mal wäre für untauglich befunden zu werden kein Grund zum Freuen. Sein Mund macht mümmelnde Bewegungen, er greift in seine Tasche und zieht, gegen meine Erwartung, kein Handy daraus hervor, um das NYPD zu verständigen, sondern eine Taschenuhr. Er betrachtet das Ziffernblatt, sagt: »Time for a break«, und geht flink zur Tür, dreht den Schlüssel im Schloss und das Close auf die Straße. Ich denke an das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland, kontrolliere meinen Schritt. Alles trocken.
Der Mann nimmt das Geldbündel und verschwindet in einen Hinterraum des Geschäfts.
»9mm. Easy to handle. And it’s not registrated«, sagt er und führt den Magazinwechsel vor. Schließlich legt er die Waffe auf die Glasplatte des Tresens. Wir sehen uns an, er mümmelt wieder. Ein Nerv in meinem linken Bein klopft gegen die Haut, lässt es wackeln, wie damals, beim ersten Versuch der praktischen Führerscheinprüfung, in der Spielstraße mit den großen Blumenkästen, die ich im Schritttempo umfahren sollte. Ich konnte die Kupplung nicht mehr halten, der Fuß tanzte auf dem Pedal. Mein Fahrlehrer sagte: »Fängst du jetzt an zu spinnen?«, und der Prüfer auf der Rückbank kringelte irgendwas in seinem Protokoll. Am Schluss rutschte ich ganz vom Pedal und der
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