Am Ende siegt die Liebe
den Kopf in die Hände. Sie erzählte ihm, wie Kim mit ihrem Sohn vor ein igen Wochen einfach vor ihr gestanden hatte. »Meine Schwester war so verzweifelt und hatte solche Angst. Sie brauchte in erster Linie Ruhe.«
Michael gestand ihr, daß er von den beiden gewußt hatte. »Und ich bin überzeugt, daß ich und Frau Bender nicht die einzigen gewesen sind.«
»Und keiner hat etwas gesagt.«
»Ein Zeichen, wie gern man Sie hat, und daß man Ihnen helfen wollte.«
Der Hotelier stand auf und holte Kaffee. Obwohl er sehr müde war, wollte er Say nicht allein lassen. Carola hatte ihm gesagt, wie schlimm es um Kim stand. Die junge Frau brauchte einen Menschen, der bei ihr war.
Es dauerte noch fast eine Stunde, bis Dr. Schumann ins Wart ezimmer kam. Er hatte bei Kims Operation assistiert. Michael merkte ihm an, daß er keine gute Nachricht brachte. Spontan umfaßte er Says Hand.
Es war Marc noch nie leichtgefallen, einem Angehörigen mi tzuteilen, daß es keine Hoffnung mehr gab. Er wußte, wie sehr Say an ihrer Schwester hing und was für Sorgen sie sich um Kim gemacht hatte.
»Kim ist tot«, flüsterte Say, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte.
»Ja, Frau Wagner, Ihre Schwester ist tot«, bestätigte er und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Bitte, glauben Sie mir, wir haben alles getan, um ihr zu helfen. Sie ist vor zehn Minuten gestorben.«
»Es ist meine Schuld.« Say vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Ich habe sie umgebracht. Ich...«
»Nein, das ist nicht wahr«, versuchte Michael sie zu beschwichtigen.
»Es ist wahr!« stieß sie hervor und zerrte an ihren Haaren. »Hätte ich nicht solche Angst vor einer Entdeckung gehabt, hätte ich sie zum Arzt gebracht. Sicher hätte es eine Möglichkeit geg eben, ihr zu helfen.«
»Sie haben das getan, was Sie für das Beste gehalten haben«, meinte Marc. Er spürte, daß Say kurz vor einem Nervenzusa mmenbruch stand. »Bitte, bleiben Sie bei ihr«, bat er Michael und ging hinaus, um etwas zu holen, was sie beruhigen würde.
Say sprang auf. Sie zitterte am ganzen Körper. Bevor Michael es noch verhindern konnte, hämmerte sie mit den Fäusten auf die gegenüberliegende Wand ein. »Lassen Sie mich los!« schrie sie verzweifelt, als er versuchte, sie festzuhalten. »Lassen Sie mich los. Sie...« Weinend brach sie zusammen.
Michael hob sie auf und trug sie zum nächsten Stuhl. Vorsichtig setzte er sie nieder. »Es wird alles gut, Say«, versprach er ihr. »Bitte, glauben Sie mir, es wird alles gut.«
Marc kehrte mit einer aufgezogenen Spritze zurück. Er nahm Says Arm. »Ich gebe Ihnen jetzt etwas, was Ihnen helfen wird, Frau Wagner«, sagte er.
Say antwortete ihm nicht. Mit geschlossenen Augen flüsterte sie etwas auf Thai, was weder er noch Michael verstehen konnten.
Marc injizierte der jungen Frau das Beruhigungsmittel, dann besorgte er einen Rollstuhl und setzte sie hinein. »Mein Wagen steht noch vor Ihren Personalwohnungen«, wandte er sich an Michael. »Ich möchte Sie bitten, mich nach Hause zu fahren. Frau Wagner würde ich gern mitnehmen. Es ist besser, wenn sie in der Nacht unter Beobachtung bleibt.«
»Gut, einverstanden«, antwortete der junge Hotelier. Er b emerkte, daß das Beruhigungsmittel bereits zu wirken begann. Say schien eingeschlafen zu sein. »Ich werde für Kims Krankenhauskosten aufkommen, ich möchte nicht, daß Frau Wagner damit belastet wird.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
»Ich kann es mir leisten.« Michael atmete tief durch. »Hoffentlich gibt es wegen ihrem Sohn keine Schwierigkeiten. Say hängt sehr an ihrem Neffen. Es wäre nicht nur für ihn schlimm, wenn man ihn nach Thailand zurückschicken würde.«
»Wenn wir alle zusammen helfen, gelingt es uns vielleicht, das zu verhindern«, meinte Marc. Er hatte auch schon an David g edacht. Da sich der Junge illegal in Deutschland aufhielt, konnte es durchaus sein, daß er abgeschoben wurde.
»Hoffen wir es«, bemerkte Michael düster und nahm sich vor, gleich am nächsten Morgen mit seinem Anwalt zu sprechen. Sie mußten eine Lösung finden, mit der Say und David leben konnten.
* * *
Kim wurde auf dem Friedhof von Rottach-Egern beigesetzt. Es war eine sehr stille Beerdigung, an der nur Michael Lange, Carola und Dr. Schumann teilnahmen. Say war noch immer krank und unfähig, länger als ein paar Minuten das Bett zu verlassen. Sie litt an einem heftigen Nervenfieber und mußte rund um die Uhr betreut werden. Obwohl sie eigentlich ins Krankenhaus gehörte,
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