Am Ende siegt die Liebe
Ärzte versichert hatten, daß es nicht zu Lähmungserscheinungen kommen mußte, die Angst blieb, vielleicht doch eines Tages im Rollstuhl sitzen zu müssen. So gern er mit Daniela darüber gesprochen hätte, er wagte es nicht, obwohl er wußte, daß es mehr als unfair ihr gegenüber war.
»Was hast du, Stefan?« fragte die junge Frau, als sie am späten Nachmittag in dem kleinen Cafè im Point saßen und auf den See hinausblickten. Sie spürte, daß ihn e twas bedrückte.
»Nichts«, behauptete er und lächelte ihr zu. »Ich kann mir nicht mehr vorstellen, daß es eine Zeit gegeben hat, in der wir uns noch nicht kannten.«
»Ich mir auch nicht.« Sie rückte ihren Stuhl dicht an ihn heran und lehnte sich sekundenlang gegen seine Schulter. »Vielleicht haben wir tief in unserem Herzen immer gewußt, daß es den anderen gibt.«
»So muß es wohl gewesen sein. Wenn...« Stefan erstarrte. Eine ältere Frau, die in einem Rollstuhl saß, wurde von einer Kranke nschwester in das Cafè geschoben. Daniela folgte seinem Blick.
»Das ist Frau Wörner«, sagte sie. »Sie leidet seit Jahren an Multipler Sklerose. Soviel ich weiß, ist die Krankheit nach der Geburt ihrer Tochter ausgebr ochen.«
Stefan schluckte. Er hatte davon gehört, daß eine latent vo rhandene Multiple Sklerose bei Frauen oft nach der Geburt ihres ersten Kindes ausbrach. »Ist sie schon lange auf einen Rollstuhl angewiesen?« erkundigte er sich mit trockener Kehle.
»Ich habe Frau Wörner nie anders gekannt«, erwiderte Daniela. »Sie soll eine besonders schwere Form von MS haben.« Nac hdenklich nippte sie an ihrem Kaffee. »Frau Wörner gehört zur >Amsel<, das ist ein Zusammenschluß von MS-Kranken. Letztes Jahr im Dezember hat die >Amsel< ein Wohltätigkeitskonzert im Schloß organisiert. Ich habe es mit meinen Eltern besucht. Bei diesem Konzert ist eine junge Geigerin aufgetreten, die ebenfalls an Multipler Sklerose leidet.«
»Und ihrem Spiel hat man nichts angemerkt?«
»Nein. Die Krankheit schien ihre Hände noch nicht befallen zu haben.«
»Muß sie auch nicht«, sagte Stefan.
»Kennst du dich mit MS aus?«
Das wäre die richtige Gelegenheit gewesen, um ihr zu sagen, daß auch er unter Multipler Sklerose litt, doch der junge Lehrer brachte es nicht fertig. »Ein bißchen«, erwiderte er und wechselte das Thema, in dem er sie fragte, ob sie am nächsten Abend schon etwas vorhatte.
»Bis jetzt noch nicht«, erklärte sie. »Wie ich dich kenne, wird sich das bereits im nächsten Moment ändern.«
»Du sagst es«, meinte er und schlug ihr vor, ins Kino zu gehen.
Nachdem die jungen Leute ihren Kaffee getrunken hatten, brachten sie die Badesachen zum Wagen, verstauten sie im Kofferraum und fuhren noch etwas durch die Gegend. Schließlich landeten sie auf der anderen Seite des Sees. Stefan hielt unweit des Wassers an, und sie stiegen aus, um ein Stückchen spazieren zu gehen.
Daniela hatte im Wagen ein altes Brötchen entdeckt. Sie ve rfütterte es an die Enten, die erwartungsfroh ans Ufer schwammen.
»Willst du mir nicht endlich sagen, was dich bedrückt?« fragte sie, als sie langsam weitergingen. »Mit dir stimmt etwas nicht. Das spüre ich schon die ganze Zeit.«
»Was sollte mit mir nicht stimmen?« Stefan versuchte, seiner Stimme einen leichten Klang zu geben. Es gelang ihm nicht. »Irgendwann muß ich es dir ja doch sagen«, meinte er dann und straffte die Schultern. »Glaub mir, es fällt mir nicht leicht.«
»Was mußt du mir sagen, Stefan?« Daniela empfand plötzlich eine entsetzliche Angst. »Bist du verheiratet? - Ist es das, was dich bedrückt. Hast du...«
»Kinder?« Stefan lachte schallend auf. Er zog die junge Frau an sich. »Nein, ich bin nicht verheiratet und ich habe auch keine Kinder, Liebes.«
»Alles andere kann nicht so schlimm sein.«
»Woher willst du das wissen?« Er ließ sie los. »Erinnerst du dich an die Frau im Rollstuhl, die wir drüben im Cafè gesehen haben.«
»Ja.« Sie sah ihn verständnislos an.
»Nun, ich habe auch Multiple Sklerose.« Stefan preßte die Hände zu Fäusten, als er bemerkte, wie jegliche Farbe aus dem Gesicht seiner Freundin wich. »Ich habe es vor einigen Wochen erfahren. Deshalb bin ich dieses Jahr nicht nach England geflogen, um mich dort an Ausgrabungen zu beteiligen.«
»MS«, sagte Daniela leise und versuchte, sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Sie blickte zu ihm auf. »Es muß schrecklich für dich sein.« Spontan umarmte sie ihn. »Deshalb bist du bei Doktor
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