Am Ende war die Tat
erreichen: zur Universität gehen, Wissenschaftler werden, Doktor oder Anwalt. Alles, was er will. Aber du kannst das nich' seh'n, oder? Und das weiß er.«
»Alles, was er will, is', 'ne Straßengang zu führen«, widersprach Joel.
»Das stimmt nich'. Er hängt nur mit den andern Jungs rum, weil er Respekt will. Und das will er auch von dir.«
»Wenn jemand Respekt will, muss er ihn sich verdien'.«
»Ja, genau das versucht er ja ...«
»Dann versucht er's auf die falsche Art«, eröffnete Joel ihr. »Und das kannste ihm gern ausrichten. Und überhaupt, ich wollte nich' über Neal mit dir reden, sondern über The Blade.«
Er wandte sich ab, um sie ihren Freundinnen zu überlassen, aber Hibah hatte es nicht gern, wenn Leute im Streit auseinandergingen. »Ich kann dir nich' sagen, wo der Typ is'«, wiederholte sie. »Aber da is'n Mädchen, die heißt Six. Die weiß es wahrscheinlich, denn die hat was mit 'nem Typen namens Greve, und der kennt The Blade.«
Joel drehte sich wieder zu ihr um. Von Six hatte er schon gehört. Doch er wusste nicht, wo sie wohnte oder wo er sie finden könnte. Mozart Estate, sagte sie. Hör dich da einfach um. Irgendwer wird sie kennen. Six habe einen ziemlichen Ruf.
Das erwies sich als zutreffend. Als Joel zum Mozart Estate kam, musste er nur einige Passanten fragen, ehe ihm jemand den Weg zu der Wohnung wies, wo Six mit ihrer Mutter und einigen ihrer Geschwister lebte. Six erinnerte sich an Joels Na-men, musterte ihn, überlegte, inwieweit er ihr nützen oder schaden konnte, und gab ihm schließlich die Information, die er wollte. Sie erzählte ihm von einem Abrisshaus am Rande des Mozart Estate in einer Biegung der Lancefield Road kurz vor der Kreuzung Kilburn Lane.
Joel entschied, bei Dunkelheit dorthin zu gehen, nicht weil er den fragwürdigen Schutz der Schatten suchte, sondern weil er es für wahrscheinlicher hielt, dass The Blade abends dort anzutreffen sei und nicht tagsüber, da er vermutlich auf den Straßen unterwegs war und tat, was immer man tun musste, um seine Stellung unter den kleineren Gaunern der Gegend zu sichern.
Joel erkannte, dass er richtiggelegen hatte, als er Cal Hancock entdeckte. Der Graffitikünstler hockte am Fuß einer Treppe hinter einem Maschendrahtzaun, dessen Tor weit genug offen stand, dass Besucher mühelos ein- und ausgehen konnten. Und nicht wenige Besucher waren zugegen. Flackerndes Licht wie von Kerzen oder Laternen schimmerte aus den Fenstern dreier heruntergekommener Wohnungen, von denen zwei im Obergeschoss des dreistöckigen Hauses lagen, so weit entfernt wie möglich von der Erdgeschosswohnung, wo The Blade irgendeine Art von Geschäft abwickelte. Die Stufen, die zu dem Apartment führten, waren aus Beton, wie auch das gesamte Gebäude.
Cal war dieses Mal eindeutig im Dienst. Er saß auf der vierten Stufe von unten und schaute sich wachsam um. Als Joel durch das Törchen im Zaun trat, erhob er sich lässig, aber doch einschüchternd für jemanden, der ihn nicht kannte - die Beine leicht gespreizt, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Was geht?«, fragte er, als Joel näher kam, und nickte ihm zu. Er klang geschäftsmäßig. Also war hinter ihm in The Blades Wohnung irgendetwas im Gange.
»Ich muss ihn sprechen.« Joel versuchte, ebenso geschäftsmäßig wie Cal und gleichzeitig bestimmt zu klingen. Dieses Mal wollte er sich nicht abwimmeln lassen. »Haste ihm das Messer gegeben?«
»Ja.«»Hat er's weggeschmissen oder behalten?«
»Er steht auf das Messer, Mann. Er hat's immer bei sich.«
»Und weiß er, woher's kommt?«
»Ich hab's ihm gesagt.«
»Gut. Jetz' sag ihm, ich muss mit ihm sprechen. Und erzähl mir kein' Scheiß, Cal. Es is' was Geschäftliches.«
Cal kam die Stufen herab und sah auf Joel hinunter. »Wie kommt's, dass du Geschäfte mit The Blade machen willst?«
»Sag ihm einfach nur, ich muss mit ihm reden.«
»Hat's was mit deiner Schwester zu tun? Hat sie 'n Wichser als Freund oder so? Oder haste 'ne Nachricht von ihr?«
Joel runzelte die Stirn. »Ich hab's dir schon mal gesagt. Ness hat jetz' andere Sachen im Kopf.«
»Das wird The Blade nich' grad gefallen, Mann.«
»Hör mal, ich kann nix dafür, was Ness macht. Sag The Blade einfach, ich muss reden. Ich halt so lang hier Wache und ruf, wenn jemand raufgeh'n will. Es is' wichtig, Cal. Diesma' geh ich hier nich' weg, bevor ich ihn gesprochen hab.«
Cal atmete tief durch und schaute zu der dämmrig erleuchteten Wohnung hinauf. Er öffnete den Mund, um
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