Am Ende war die Tat
vor: »Willst du nicht wieder zu Führt Worte statt Waffen kommen, Joel? Wir vermissen dich dort, und ich bin überzeugt, es würde dir guttun.«
»Keine Ahnung, ob Tante Ken mich noch vor die Tür lässt, wenn sie meine Noten sieht.«
»Es wäre ein Leichtes für mich, mit ihr zu sprechen.«
Joel dachte darüber nach. Er sah eine Möglichkeit, wie seine Rückkehr zu Führt Worte statt Waffen letztlich zu seinem Vorteil sein könnte. »Ich würd gern wieder kommen«, sagte er schließlich.
Ivan lächelte. »Großartig. Und vielleicht schreibst du vor unserem nächsten Treffen ein paar Verse, an denen du uns teilhaben lässt? Um deine Furcht zu überwinden, verstehst du. Wirst du's versuchen?«
Das werde er, versicherte Joel.
Also benutzte er Führt Worte statt Waffen als Vorwand, als eine Art Finte, um sein Leben möglichst normal erscheinen zu lassen, während er auf The Blades Befehl wartete. Das Schreiben fiel ihm unendlich schwer, weil seine Gedanken vornehmlich mit völlig anderen Dingen beschäftigt waren, und ihm fehlte die nötige Disziplin, um sich auf den kreativen Akt zu konzentrieren, während ihm die schiere Angst im Nacken saß. Doch allein schon, ihn mit Notizblock und Stift am Küchentisch sitzen zu sehen, reichte aus, um seine Tante von dem Vorhaben abzubringen, Neal Wyatt zur Rede zu stellen. Solange das funktionierte, war Joel gewillt weiterzumachen. Und tatsächlich erlaubte Kendra ihm, am nächsten Treffen von Führt Worte statt Waffen teilzunehmen.
Joel sah die Leute dieses Mal mit anderen Augen. Und er betrachtete auch die Lokalität mit anderen Augen. Das Basement Activities Centre in Oxford Gardens kam ihm überheizt, schlecht beleuchtet und muffig vor. Die Teilnehmer des Lyrikkurses erschienen ihm machtlos. Männer und Frauen jeden Alters, die unfähig waren, in ihrem Leben etwas zu verändern. Sie waren, was Joel sich niemals zu werden geschworen hatte: Opfer der Umstände, in die sie hineingeboren waren. Sie saßen wie passive Zuschauer auf dem Abstellgleis ihres eigenen Daseins. Passiven Zuschauern stieß alles Mögliche zu, und Joel war fest entschlossen, nie einer von ihnen zu werden.
Joel hatte drei Gedichte mitgebracht, und er wusste, alle drei reflektierten die finsteren Abgründe, in welche die Angst vor dem, was The Blade mit ihm vorhatte, ihn gestürzt hatte. Er wagte nicht, ans Mikrofon zu treten und sie den Zuhörern vorzulesen, zumal er einmal als »Meister von morgen« prämiert worden war. Also blieb er sitzen und sah zu, während andere ihre Werke darboten: Adam Whitburn - der vom Publikum wie immer enthusiastisch gefeiert wurde -, eine junge Chinesin mit blonden Strähnchen und knallrotem Brillengestell und ein pickliges junges Mädchen, das über seine Schwärmerei für einen Popstar geschrieben hatte.
In seinem momentanen seelischen und nervlichen Zustandwar dieser erste Teil des Abends für Joel fast eine Art Folter. Er konnte den Dichtern keine konstruktive Kritik bieten, und die Tatsache, dass er sich einfach nicht in den Rhythmus des Abends fand, machte die Dinge umso schlimmer. Er befürchtete, seine innere Unruhe würde sein Herz bis zum völligen Stillstand zusammenquetschen, wenn er nichts dagegen unternahm.
Als Ivan ans Mikrofon trat und »Du hast das Wort« ankündigte, borgte Joel sich von einem zahnlosen alten Mann einen Bleistift. Scheiß drauf, dachte er sich und notierte die Wörter, die Ivan vorlas: »Soldat«, »Findling«, »Anarchie«, »Purpur«, »Peitsche« und »Asche«.
Er fragte den Alten, was ein Findling sei, und auch wenn ihm klar war, dass seine Unwissenheit nicht gerade für seinen Erfolg beim Wettbewerb sprach, entschied er trotzdem, es zu versuchen, und zwar so, wie Ivan es ihm beigebracht hatte: Er ließ die Worte aus diesem geheimnisvollen Quell in seinem Innern sprudeln, ohne sich darum zu scheren, wie andere sie verstehen würden.
Schnell lernt der Findling das purpurne
Gesetz der Straße.
Anarchie ist die Peitsche
In der Hand des Soldaten,
Wo die Gewehre
Alles in Asche verwandeln.
Dann starrte er auf sein Werk hinab und staunte über die Botschaft, die seine Worte enthielten. Kindermund tut Wahrheit kund, hatte Ivan bei früherer Gelegenheit einmal bemerkt, als er mit einem seiner grünen Stifte über eines von Joels Gedichten gebeugt dagesessen hatte. Du bist sehr weise für dein Alter, mein Freund. Doch als Joel nun mit einem mühsamen Schlucken sein jüngstes Werk vor sich sah, wusste er, dass all das nichts mit
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