Am Ende war die Tat
...«
»Ivan hat mich nich' drum gebeten, dich einzuladen«, unterbrach Adam. »Ich frag, weil ich dich fragen will.«
»Cool«, war alles, was Joel daraufhin einfiel. Sofort kam er sich dumm vor. Aber falls Adam Whitburn es für uncool hielt, irgendetwas als cool zu bezeichnen, so ließ er sich nichts anmerken. Er sagte lediglich: »Dann lass uns geh'n. Ist nicht weit. Drüben an der Portobello Road.«
Das Café nannte sich »Caffeine Messiah« und lag keine zehn Minuten von Oxford Gardens entfernt. Als Dekoration dienten Christusstatuen und Rosenkränze, die von Leuchtern herabhingen. Ein paar Tische waren an einem Ende des Raums zusammengeschoben worden, wo die Wände mit Heiligenbildern in Postergröße bepflastert waren, von denen die ernsten Gesichter verschiedener Märtyrer auf die Gäste herabblickten. Zehn Führt-Worte-statt-Waffen- Teilnehmer saßen dort mit Ivan zusammen auf verschrammten Stühlen. Sie hatten die Stimmen erhoben, um sich über die Musik hinweg verständlich zu machen: Gregorianische Gesänge drangen in ziemlich unchristlicher Lautstärke aus den Boxen.
Eine Nonne servierte die Getränke, oder zumindest glaubte Joel das, bis sie auch seine Bestellung aufnahm und er sah, dass sie eine gepiercte Augenbraue hatte, einen Lippenring und eintätowierte Tränen auf der Wange. Ihr Name war Map, und alle schienen sie zu kennen, genau wie umgekehrt, denn sie fragte die meisten: »Was darf's sein? Das Übliche oder heut' mal was anderes?« Münzen wurden auf den Tisch geworfen, um für die Getränke zu bezahlen. Joel zögerte, seinen Fünfzig-Pfund- Schein dazuzulegen; er hatte ansonsten kein Geld. Doch als er die Hand in die Tasche steckte, um den Schein herauszuho-len, hielt Adam Whitburn ihn zurück. »Der Gewinner zahlt nichts, Bruder«, erklärte er. Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Aber mach keine Gewohnheit draus, kapiert? Das nächste Mal mach ich dich fertig.«
Nachdem Map ihnen die Getränke gebracht hatte, bat ein dunkelhäutiger Junge namens Dämon die Versammelten um ihre Aufmerksamkeit. Es stellte sich heraus, dass dies nicht einfach ein gemütliches Kaffeeründchen nach dem Dichtertreffen war. Schnell war Joel klar, dass die Gruppe nicht nur aus Teilnehmern von Führt Worte statt Waffen bestand, sondern ebenso aus Schülern aus Ivans Drehbuchkurs. Sie redeten über das gemeinsame Filmprojekt, und Joel erfuhr, wie sie die verschiedenen Aufgaben verteilt hatten: Adam und zwei weitere - Charlie und Daph - hatten die fünfte Überarbeitung des Drehbuchs abgeschlossen. Mark und Vincent hatten wochenlang damit zugebracht, geeignete Drehorte ausfindig zu machen. Penny, Astarte und Tam hatten die günstigsten Verleiher von Filmausrüstung aufgestöbert. Kayla hatte die Nachwuchsagenturen kontaktiert. Schließlich berichtete Ivan über die Finanzlage, und alle lauschten mit ernsten Gesichtern, als er von den potenziellen Sponsoren sprach, die er aufgetrieben hatte. Die Produktion dieses Films war für diese Leute mehr als ein Traum, stellte Joel fest. Unter Ivans organisatorischer Leitung würden sie dieses Projekt tatsächlich realisieren, und keiner von ihnen kam auf den Gedanken, sich zu fragen, warum ein weißer Mann, der offenbar nicht unter Langeweile litt, seine Zeit damit vertat, ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, die so ganz anders waren als jene, die ihnen ihre Herkunft beschert hatte. Joel nippte an seiner heißen Schokolade und lauschte gespannt. Er kannte bislang nur Menschen wie die im Edenham Estate und anderen großen Wohnsiedlungen. Menschen wie seine Großmutter, mit ihrer hoffnungslosen Beziehung zu George Gilbert. Diese Leute redeten immer nur davon, was sie irgendwann einmal tun wollten: fantastische Urlaubsreisen zu Luxusherbergen auf den Bermudas oder in Südfrankreich. Mit der Yacht eines reichen Typen durchs Mittelmeer schippern. Ein Haus in einem vorneh-men Neubaugebiet kaufen, wo alles funktionierte und die Fenster doppelt verglast waren. Mit einem schnellen Auto durch die Gegend brausen. Schon die Kleinsten hatten die aberwitzigsten Träume. Sie wollten Rapper werden und üppige Bankkonten haben oder eine Rolle in einer Fernsehserie ergattern. Doch so oft sie von diesen Dingen schwärmten, erwartete doch keiner, sie je wirklich zu erreichen. Keiner hätte auch nur gewusst, wie man den Anfang machen sollte.
Aber hier war es anders. Joel merkte genau, dass diese Menschen ihre Pläne in die Tat umsetzen wollten, und er fand es unerträglich,
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