Am Ende war die Tat
aufgibst?«
»Vergessen Sie's, okay? Ich mach meine Stunden. Außerdem hab ich noch diesen dämlichen Kurs am College, und mehr muss ich überhaupt nich' machen.«
Das war richtig, und diese Tatsache band allen die Hände. Aber ebenso war es eine Tatsache, dass Ness laut richterlicher Anordnung verpflichtet war, ganztägig die Schule zu besuchen. Wenn sie sich also nicht für dieses oder jenes Kursprogramm am College anmeldete, worauf die Arbeit bei Sayf al Din eine Vorbereitung sein sollte, würde sie sich bald erneut vor dem Richter finden und hätte dann auf keinerlei Milde zu hoffen. Es waren schon genug Ausnahmen für sie gemacht worden.
Fabia Bender war diejenige, die in dieser Angelegenheit Druck ausübte. Als sie Kendra aufsuchte, kam sie gut vorbereitet. Für jedes der Kinder hatte sie eine eigene Akte angelegt. Das Vorhandensein dieser Akten und die Art und Weise, wie
sie sie auf dem Küchentisch ausbreitete, sollten der Tante der Kinder den Ernst der Lage verdeutlichen.
Doch Kendra brauchte dafür keine Metaphern. Sowohl die Sozialarbeiterin als auch Sergeant Starr hatten sie darüber ins Bild gesetzt, dass Joel versucht hatte, auf der Portobello Road eine Frau zu überfallen, ebenso über seinen Waffenbesitz und seine mysteriöse Freilassung nach der Festnahme. Und obwohl sie sich sagte, dass es sich bei der Sache doch wohl nur um eine Verwechslung handeln könne - denn warum sonst sollte er so zügig freigelassen worden sein -, war sie im tiefsten Innern nicht mehr sicher.
»Diese Sozialarbeiterin will vorbeikommen und mit mir reden«, erzählte sie Cordie nach Fabia Benders Anruf im Laden. »Nur wir beide, hat sie gesagt, aber Dix kann dabei sein, falls er zufällig gerade zu Hause ist.«
Cordie nickte mitfühlend und lauschte den Geräuschen aus dem Wohnzimmer, wo ihre beiden Töchter einträchtig mit Anziehpuppen spielten, während der Regen draußen ans Fenster trommelte. Sie dankte Gott für die Unverdorbenheit ihrer Töchter, für die zuverlässige Präsenz ihres Mannes - auch wenn er ihr mit seiner Besessenheit, einen Sohn zu bekommen, auf die Nerven ging - und dafür, dass er in Lohn und Brot stand, für eine intakte Familie und einen Job, der ihr Spaß machte, mit Kolleginnen, die ihre Leidenschaft teilten.
»Hab ich einen Fehler gemacht, als ich den Cops den Namen von diesem Neal Wyatt gegeben habe?«, fragte Kendra.
Das konnte Cordie nicht sagen. Es kam niemals etwas Gutes dabei heraus, wenn man die Polizei in sein Leben ließ, aber sie war gewillt zu glauben, dass es Ausnahmen von dieser Regel gab. Also antwortete sie: »Das wird schon alles, Ken.« Das war zweifellos richtig, aber ob alles gut oder nur noch schlimmer werden würde, konnte sie nicht vorhersagen. Nach Cordies Dafürhalten war es besser, man lebte sein Leben außerhalb der Radarschirme der Regierungsbehörden. Da Kendra und ihre Familie sich aber nun einmal mitten auf diesen Radarschirmen platziert hatten, war es unwahrscheinlich, dass sieirgendwann glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage leben würden.
»Haste schon ma' über Alternativen nachgedacht, Ken?«
»Was für Alternativen?«
»Was immer du dir vorstellen kanns'. Diese Sozialarbeiterin wird mit eigenen Ideen komm', die dir bestimmt nich' gefall'n.«
Aber wenn Kendra die Dinge überdachte, schien es doch nur drei Möglichkeiten zu geben: so weiterzumachen wie während des letzten Jahres. Einen radikalen Einschnitt vorzunehmen, der eine sofortige Veränderung herbeiführte, die Ness und Joel aufweckte und zu Verstand brachte - vorausgesetzt, dass Joel so etwas überhaupt brauchte, was sie sich immer noch nicht eingestehen konnte. Oder auf ein Wunder zu hoffen, etwa in Gestalt von Carole Campbells plötzlicher, vollständiger und dauerhafter Genesung. Die erste Alternative schien ihr nicht infrage zu kommen. Die zweite hieße, sich dem Jugendamt auszuliefern, und war ebenso wenig denkbar. Und die dritte war höchst unwahrscheinlich. Eine allerletzte und möglicherweise einzig wirksame Option war eine Heirat mit Dix und der Anschein von Beständigkeit und intakter Familie, die solch ein Schritt bieten mochte. Aber eine Heirat mit Dix wollte Kendra nicht. Sie wollte überhaupt niemanden heiraten. Eine Ehe bedeutete nachzugeben und aufzugeben, und dem konnte sie nicht ins Auge sehen, selbst wenn sie wusste, dass es vielleicht die einzige Lösung war, die ihr offenstand.
Fabia Bender hatte nicht die Absicht, es der Tante der Kinder leicht zu
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