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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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konnten, ihm zu helfen.
    Als Ivan klopfte, öffnete Joel ihm die Tür - offensichtlich überrascht, doch er beeilte sich, sein Gesicht in eine ausdruckslose Maske zu verwandeln, um zu verbergen, was in ihm vorgehen mochte. Die Stimmen eines Zeichentrickfilms plärrten von oben herunter. Der kleine Bruder war offenbar auch da. Über Joel hinweg erkannte Ivan Joels Schwester in der Küche. Sie saß am Tisch, hatte eine Ferse auf die Kante gestellt und lackierte sich die Zehennägel in Metallicblau. Neben dem Nagellackfläschchen stand ein Aschenbecher, und Zigarettenqualm stieg in einer trägen Spirale daraus empor. Rapmusik dröhnte aus den Lautsprechern eines Radios auf der Küchenanrichte, und der DJ stellte kurz darauf den Sänger als Big R Balz vor - als könne man diese unverständlichen Grunzlaute Gesang nennen, dachte Ivan bei sich.
    »Kann ich dich sprechen, Joel?«, wandte er sich wieder an seinen Freund.
    »Ich hab nix geschrieben in letzter Zeit.« Er sah an Ivan vorbei auf die Straße, als wünsche er, der Besucher möge schnell wieder verschwinden.
    Aber Ivan gedachte nicht, sich vertreiben zu lassen. »Deswegen bin ich nicht hier. Deine Tante hat mich angerufen.«
    »Ja. Ich weiß.«
    »Darüber möchte ich mit dir reden.«
    Joel führte ihn in die Küche, wo Ness Ivan musterte. Sie sagte kein Wort, aber das war auch nicht nötig. Genau wie früherreichte es auch jetzt vollkommen, wenn Ness mit ihren großen dunklen Augen jemanden fixierte, um denjenigen aus dem Konzept zu bringen. Auf den ersten Blick war ihr Ausdruck verächtlich, aber es lag noch etwas anderes dahinter, was die Menschen verunsicherte.
    Ivan nickte zum Gruß. Ness' volle Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Sie betrachtete ihn von Kopf bis Fuß und bemühte sich nicht, ihre Einschätzung dieser eigenartigen Person zu verbergen. Sie nahm sein strähniges graues Haar in Augenschein, die schlechten Zähne, sein abgetragenes Tweedjackett, die schäbigen Schuhe. Sie nickte, aber es war keine Erwiderung seines Grußes. Vielmehr sagte das Nicken: Deine Sorte kenn ich, Mann. Dann zündete sie sich mit dem Stummel ihrer Zigarette eine neue an und hielt sie zwischen den Fingern, sodass der Rauch ihren Kopf einhüllte. »Das is' Ivan, he?«, fragte sie ihren Bruder. »Hätt nich' gedacht, ihn mal hier zu seh'n. Kann mir nich' vorstell'n, dass er sich oft in dieser Gegend rumtreibt. Und, wie gefällt's dir hier bei uns Wilden, Mann?«
    »So isser nich'«, widersprach Joel.
    »Klar doch«, lautete ihre lakonische Antwort.
    Ivan ließ sich von Ness nicht aus der Fassung bringen. »Aber sicher!«, rief er aus. »Ich habe dich schon mal gesehen, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass du Joels Schwester bist. Du arbeitest in der Kindertagesstätte, oder? Du hast ein echtes Talent im Umgang mit den Kids.«
    Das war nicht die Reaktion, die Ness erwartet hatte. Ihr Ausdruck wurde starr. Sie zog an ihrer Zigarette und stieß ein unschönes, bellendes Lachen aus. »Klar. Ich wär 'ne richtig gute Mami.« Sie stand auf, schlenderte aus der Küche und verschwand auf der Treppe.
    »Habe ich irgendetwas ...«
    »So is' Ness einfach«, erklärte Joel.
    »Verletzte Seele«, murmelte Ivan.
    Joel sah ihn scharf an. Ivan erwiderte den Blick. Joel schaute weg. Ivans Blick war offen und schwer zu ertragen.
    Er setzte sich an den Tisch. Sorgsam schraubte er Ness' ver- gessenen Nagellack zu und nickte zu einem zweiten Stuhl hinüber, was Joel bedeuten sollte, Platz zu nehmen.
    Als Joel der Aufforderung gefolgt war, herrschte eine Weile Schweigen. Immer noch dröhnte Rapmusik aus dem Radio. Joel stand auf und schaltete es ab. Jetzt waren nur noch die Explosionen von oben zu hören - offenbar ergab eine Zeichentrickfigur sich gerade ihrem Schicksal, und Toby gluckste vor Vergnügen.
    Strenge, Fairness und Aufrichtigkeit, erinnerte Ivan sich. Er kam auf Führt Worte statt Waffen zu sprechen und auf den Umstand, dass Joel den Lyrikabend als Ausrede für seine eigenen Unternehmungen vorgeschoben hatte. »Ich dachte, wir seien Freunde, Joel«, sagte er. »Aber ich muss gestehen, dass der Anruf deiner Tante mich gezwungen hat, diese Einschätzung zu überdenken.«
    Joel, der sich nicht wieder hingesetzt hatte, nachdem er das Radio ausgeschaltet hatte, lehnte sich an die Anrichte und sagte nichts. Er war nicht ganz sicher, wovon Ivan sprach, aber inzwischen kannte er Erwachsene gut genug, um zu wissen, dass eine nähere Erläuterung nicht fern war.
    Ivan sagte: »Ich

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