Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
Vom Netzwerk:
Ich nahm an, dass er jegliche Hoffnung aufgegeben hatte.
    »Ich glaube, dieses Mal haben wir uns ein gutes Bier verdient«, sagte er und fasste mich beim Arm.
    Doch mein Magen rebellierte. Ich hatte mich auf das Spiel eingelassen und wartete nun, dass die Zeit verging, außerstande mich zu entspannen.
    »Adrian! Was ist nun mit all Ihren schönen Geschichten über die Relativität der Zeit? Die nächste Stunde wird Ihnen trotzdem unendlich lang erscheinen. Kommen Sie, lassen Sie uns etwas Luft schnappen und uns ablenken.«
    Auf dem eisigen Vorplatz rauchten einige ebenso nervöse Kandidaten und hüpften auf der Stelle, um sich aufzuwärmen. Keine Spur von der jungen Frau aus der vierten Reihe, sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Walter hatte recht, die Zeit war stehen geblieben, und das Warten kam mir endlos vor. An der Bar des Mariott-Hotels sah ich pausenlos auf meine
Uhr. Schließlich war es Zeit, in den großen Saal zurückzukehren, in dem die Juroren ihre Entscheidung verkünden würden.
    Die Unbekannte aus der vierten Reihe hatte wieder ihren Platz eingenommen und würdigte mich keines Blickes. Von der Jury gefolgt trat die Präsidentin der Walsh-Foundation ein. Sie stieg auf das Podium und beglückwünschte alle Kandidaten zu ihren hervorragenden Arbeiten. Sie bekräftigte, die Entscheidung sei nicht leicht gewesen und es habe mehrerer Wahldurchgänge bedurft. Lobende Erwähnung fand das Projekt zur Wasserentsalzung, der Hauptpreis aber kam dem ersten Redner zu, um seine bioenergetischen Forschungen zu finanzieren. Tapfer steckte Walter den Schlag ein. Er klopfte mir auf die Schulter und versicherte mir glaubwürdig, wir hätten uns wirklich nichts vorzuwerfen, wir hätten unser Bestes getan.
    Die Vorsitzende unterbrach den Applaus. Wie bereits erwähnt hätte die Jury große Schwierigkeiten gehabt, eine Entscheidung zu treffen, und würde deshalb in diesem Jahr den Preis ausnahmsweise zwischen zwei Kandidaten teilen, genauer gesagt zwischen einem Kandidaten und einer Kandidatin. Die Unbekannte in der vierten Reihe war die einzige Frau, die vor der Walsh-Foundation gesprochen hatte. Sie erhob sich schwankend, und im Getöse des Beifalls verstand ich ihren Namen nicht. Nach einigen Umarmungen auf der Bühne verließen die Bewerber und ihre Freunde den Saal.
    »Schenken Sie mir jetzt trotzdem die Gummistiefel, damit ich mich in meinem Büro bewegen kann?«, fragte Walter.
    »Versprochen ist versprochen. Es tut mir leid, Sie enttäuscht zu haben.«
    »Unser Projekt ist immerhin ausgewählt worden … Und Sie haben nicht nur den Preis verdient, sondern ich bin auch sehr stolz, dass ich Sie in den letzten Wochen bei diesem Abenteuer begleiten durfte.«

    Wir wurden von der Jurypräsidentin unterbrochen, die uns die Hand entgegenstreckte.
    »Julia Walsh. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    Neben ihr stand ein großer, kräftiger Typ. Sein Akzent ließ keinen Zweifel an seiner deutschen Herkunft zu.
    »Ihr Projekt ist absolut faszinierend«, fuhr die Erbin der Walsh-Foundation fort. »Ich persönlich halte es für das beste. Die Entscheidung ist mit einer Stimme Mehrheit gefallen. Ich hätte es so gerne gesehen, dass Sie den Preis bekommen. Bewerben Sie sich im nächsten Jahr erneut, die Jury wird anders zusammengesetzt sein, und ich bin sicher, Sie haben die besten Chancen. Das Licht des ersten Tages kann gewiss noch ein Jahr warten, nicht wahr?«
    Sie verabschiedete sich höflich und entschwand, begleitet von ihrem Freund, einem gewissen Thomas.
    »Na, sehen Sie«, rief Walter, »wir haben uns wirklich nichts vorzuwerfen!«
    Ich antwortete nicht, und plötzlich schlug Walter mit der Faust auf den Tisch.
    »Warum musste sie kommen und uns das erzählen?«, knurrte er. »›Mit einer Stimme Mehrheit‹, das ist einfach unerträglich. Ich hätte es tausendmal vorgezogen, sie hätte gesagt, wir wären einer der Letzten gewesen - aber wegen nur einer Stimme! Ist Ihnen klar, wie grausam das ist? Ich werde die nächsten Jahre meines Lebens in einer Pfütze arbeiten, und das alles wegen einer Stimme! Ich wüsste gerne, wem wir das zu verdanken haben, um ihm eigenhändig den Hals umzudrehen!«
    Walter war außer sich, und ich wusste nicht, wie ich ihn beruhigen sollte. Sein Gesicht lief rot an, und sein Atem ging keuchend.

    »Walter, fangen Sie sich wieder, Sie werden sonst noch krank!«
    »Wie kann man jemandem sagen, dass sein Schicksal von einer fehlenden Stimme abhing? Ist das für die nur ein

Weitere Kostenlose Bücher