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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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konnte. Elena hatte einen ungeahnten Sinn für Humor,
wenn meine Mutter nicht zugegen war. Sie ergriff das Wort und erzählte Walter ohne Unterbrechung fast ihr ganzes Leben. Wir blieben, bis das Restaurant schloss. Ich begleitete meinen Freund zu seinem Hotel und machte mich auf dem Rücken meines Esels auf den Heimweg. Mama saß im Innenhof und putzte ihr Silber - und das um ein Uhr morgens!
    Am nächsten Tag gegen vier klingelte das Telefon. Meine Mutter kam auf die Terrasse und kündigte mir in argwöhnischem Tonfall an, mein Freund wolle mich sprechen. Walter schlug mir einen Spaziergang am späten Nachmittag vor. Ich wollte mein Buch zu Ende lesen und lud ihn zu uns zum Abendessen ein. Ich begab mich ins Dorf, um ein paar Einkäufe zu erledigen, und beauftragte Kalibanos, »meinen Freund« um neun Uhr von seinem Hotel abzuholen und zu uns zu bringen. Mama sagte kein Wort, begnügte sich damit, den Tisch zu decken und meine Tante zu diesem Essen einzuladen, das ihr ganz offensichtlich nicht recht war.
    »Was hast du, Mama?«, fragte ich.
    Sie stellte die Teller ab und verschränkte die Arme vor der Brust, was nichts Gutes verhieß.
    »Zwei Jahre sind vergangen, in denen du fast nichts von dir hast hören lassen, und die einzige Person, die du mir vorstellst, ist dieser Sherlock Holmes? Wann denkst du endlich daran, ein normales Leben zu führen?«
    »Alles hängt davon ab, was du unter ›normal‹ verstehst.«
    »Ich wünschte mir, meine einzige Sorge wäre, dass meine Enkel sich an den Felsen wehtun.«
    Meine Mutter hatte bisher nie einen solchen Wunsch geäußert. Ich bat sie, auf einem der Stühle Platz zu nehmen, und bereitete ihr einen Ouzo, so wie sie ihn liebte, ohne Wasser, nur mit einem Eiswürfel. Ich sah sie zärtlich an und fragte mich, was ich ihr antworten sollte.

    »Möchtest du plötzlich Enkelkinder? Du hast früher immer das Gegenteil behauptet und gesagt, es reiche dir völlig aus, mich großgezogen zu haben. Unter keinen Umständen wolltest du eine dieser Frauen werden, die, wenn ihre Brut das Nest verlässt, dieselbe Rolle im Gewand der Großmutter noch einmal spielen.«
    »Nun, ich bin eine dieser Frauen geworden. Nur Dummköpfe ändern ihre Meinung nie, oder? Das Leben vergeht so schnell, Adrianos. Du hattest ewig Zeit, dich mit deinen Kameraden zu amüsieren. Nun solltest du nicht mehr von morgen träumen. In deinem Alter ist morgen heute. Und in meinem, wie du selbst hast feststellen können, ist heute schon gestern geworden.«
    »Aber ich habe noch alle Zeit dieser Welt!«, protestierte ich.
    »Man verkauft den Salat, bevor er welk ist!«
    »Ich weiß nicht, was dich so beunruhigt, doch ich zweifele nicht daran, eines Tages der idealen Frau zu begegnen.«
    »Habe ich etwas von einer idealen Frau? Und trotzdem haben dein Vater und ich vierzig sehr schöne Jahre zusammen verbracht. Weder die Frau noch der Mann müssen ideal sein, sondern das, was sie teilen wollen. Eine große Liebesgeschichte, das ist die Begegnung von zwei Menschen, die geben. Hast du das je in deinem Leben gefunden?«
    Ich gestand, dass dies nicht der Fall war. Mama strich mir über die Wange und lächelte.
    »Hast du es wenigstens gesucht?«
    Sie stand auf, ohne ihr Glas angerührt zu haben, begab sich in ihre Küche und ließ mich allein auf der Terrasse zurück.

Omo-Tal
    Das blasse Morgenlicht im Omo-Tal enthüllt Sumpf- und Savannenlandschaften, die durch Hochebenen getrennt sind. Von dem Sandsturm war keine Spur zurückgeblieben. Die Dorfbewohner hatten alles, was der Wind zerstört hatte, wieder aufgebaut. Die kleinen schwarzweißen Colobusaffen hangelten sich geschickt von Ast zu Ast.
    Die Archäologen durchquerten ein Dorf vom Stamm der Kwegu und erreichten weiter unten das der Mursi. Krieger und Kinder spielten am Ufer.
    »Habt ihr schon etwas so Schönes wie die Volksstämme des Omo-Tals gesehen?«, fragte Keira ihre Reisebegleiter.
    Ihre kupferfarbene Haut war mit Meisterwerken bemalt. Den Mursi gelingt instinktiv, was große Künstler ihr ganzes Leben lang vergebens versuchen. Mit den Fingerspitzen oder einem gespitzten Schilfrohr nehmen sie Ocker oder andere Pigmente aus der Vulkanerde auf, um sich mit Farben zu schmücken - Grün, Gelb, das Grau der Asche. Ein kleines Mädchen, das gerade einem Bild von Gauguin zu entsteigen schien, lachte zusammen mit einem Krieger in den Farben eines Mark Rothko. Angesichts dieser Pracht schwiegen Keiras Kollegen begeistert. Wenn die Menschheit wirklich eine Wiege

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