Am Fluss des Schicksals Roman
Gesicht war weiß wie ein Laken. Hatte Silas mit seiner Behauptung etwa Recht? Betrachtete Regina sie jetzt mit anderen Augen, bloß weil sie sich in Silas’ Gesellschaft befand? Francesca konnte ein Gefühl des Triumphs nicht unterdrücken. Mit erhobenem Kinn wandte sie sich wieder Silas zu, wobei sie so tat, als würde sie an seinen Lippen hängen.
Regina murmelte leise eine Entschuldigung, schnappte sich Claras Arm und zog sie zu ihrer Kutsche. Mehr denn je war sie entschlossen, Francescas Ruf zu ruinieren, zumal es die einzige Möglichkeit war, Silas davon zu überzeugen, dass sie seiner nicht wert war. Schnelles Handeln war geboten.
»Stimmt etwas nicht, Mrs Radcliffe?«, fragte Clara, die Reginas Bestürzung bemerkt hatte.
»Haben Sie die junge Frau gesehen, die zusammen mit Silas Hepburn in der Teestube sitzt?«, entgegnete Regina.
»Ja. Eine sehr hübsche, dunkelhaarige junge Dame. Aber ich kenne sie nicht. Warum fragen Sie?«
»Seit Wochen stellt sie meinem Monty nach. Ein schamloses Flittchen, eine Schifferstochter«, sagte Regina naserümpfend. »Die verkehren doch mit dem ganzen Hafengesindel! Sie wissen bestimmt, welchen Typ ich meine. Außerdem habe ich gehört, dass sie Umgang mit Prostituierten pflegt.«
»Oh«, sagte Clara schockiert. »Jetzt verstehe ich, weshalb ihr bloßer Anblick Sie aus der Fassung bringt.«
Nachdem Francesca gegangen war, suchte Silas den Mietstall auf.
»Guten Tag, Henry«, sagte er.
»Mr Hepburn! Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe gesehen, dass Miss Callaghan vorhin hier war«, sagte Silas. »Sie war in Tränen aufgelöst.«
»Ja, sie war sehr aufgewühlt, Mr Hepburn, aber ich weiß nicht, warum.« Henry befürchtete, für Francescas Kummer verantwortlich gemacht zu werden.
»Warum war sie hier?«
»Sie hat sich heute in aller Frühe ein Pferd samt Einspänner geliehen. Sie wirkte sehr nachdenklich. Nach ihrer Rückkehr hat sie das Gespann einfach stehen lassen und ist davongerannt.«
»Weißt du, wohin sie gefahren ist?«
»Ja, Sir, Mr Hepburn. Sie war auf Derby Downs.«
Silas nickte und schlenderte weiter. Seine Überraschung hielt sich in Grenzen, weil er damit gerechnet hatte, dass Regina der Auslöser für Francescas Erregung war. Ohne Zweifel hatte Regina ihr unmissverständlich klar gemacht, dass sie nicht gut genug für ihren Monty sei. Wäre Francesca schon seine Frau, würde er sich Regina vorknöpfen, doch im Moment war Reginas Verhalten ihm nur recht, da sie ihm Francesca direkt in die Arme trieb ...
Als Francesca die Marylou nirgendwo am Ufer erblickte, machte sie sich auf zum Pier, wo sie Ned antraf, der unruhig auf und ab ging. Er wirkte sehr besorgt.
»Wo ist die Marylou, Ned? Ich habe sie am Ufer nirgends entdecken können.«
Ned schüttelte den Kopf. »Joe hat mich zum Laden geschickt. Als ich zurückkam, war er weg.«
»Was meinst du mit ›weg‹, Ned?«
»Er ist zurzeit ziemlich am Boden, Francesca. Ich fürchte, er hat etwas vor ...«
»Und was?«
»In den letzten Tagen hat er immer wieder Andeutungen gemacht ...«
»Was für Andeutungen?« Francesca bekam es mit der Angst. »Will er sich etwas antun?«
»Bestimmt nicht. Aber ich befürchte, dass er vorhat, die Marylou abzufackeln.«
»Die Marylou abfackeln!« Francesca wollte ihren Ohren nicht trauen. Sie wusste, dass ihr Vater den Mut verloren hatte, aber sie hatte nicht geahnt, dass seine Verzweiflung so groß war.
»Er hat gesagt, dass er das Schiff lieber ansteckt, als es Silas zu überlassen, und ich kann es ihm nicht verübeln.«
Francesca stockte der Atem. »Wo ist Lizzie?«
Neds Augen wurden groß. Er war so sehr mit Joe beschäftigt gewesen, dass er Lizzie glatt vergessen hatte. »O Gott. Sie muss noch an Bord sein!«
Verzweifelt ließ Francesca den Blick in beide Richtungen über den Fluss schweifen. »Ob Dad weiß, dass sie noch an Bord ist?«
Ned zuckte die Achseln. »Ich habe ihm gesagt, dass du unterwegs bist, um etwas zu erledigen. Wahrscheinlich meint er, dass Lizzie dich begleitet hat ... falls er überhaupt noch an sie gedacht hat. Er ist zurzeit völlig durcheinander, Frannie.«
»Wir müssen die Marylou schnellstens ausfindig machen und ihn davon abhalten, Ned! Womöglich schläft Lizzie noch in meiner Kajüte!«
»Ich warte auf Neal. Er holt gerade sein Schiff.« Am Pier lagen noch vereinzelt ein paar Dampfer, während die meisten mit ihrer Fracht bereits abgelegt hatten. Die verbliebenen Schiffe wurden soeben beladen oder die Ladung
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