Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
hat, toxische Papiere, die in einem stinkenden Derivate-Tümpel treiben, gibt es immer noch eine Fähigkeit, die niemand einen Händler lehren kann, eine Fähigkeit, die er hat oder eben nicht: die Gabe, noch im größten Chaos kühl zu überlegen und rational vorzugehen. Wer dazu nicht imstande ist, kann trotzdem eine Wall-Street-Karriere hinlegen – im Vertrieb oder als Analyst –, ein guter Trader wird er niemals.
Ich hatte zu lange zugelassen, dass – privat wie beruflich – das Chaos mein Leben regierte. Es wurde Zeit, dass ich Trauer und Ängste beiseiteschob und mich an die Arbeit machte.
Ein weiteres Mal versuchte ich, Muster zu erkennen. Jeder Händler hinterlässt eine Spur, ein Zeichen am Markt; diese Spuren können unverwechselbar sein, die meisten jedoch sind banal. Das Steigen und Fallen der Preise gleicht einem chaotischen, durch die elektronischen Instrumente zunehmend beschleunigten Tanz, in dem die Händler auf ganz unterschiedliche Weise mit ihrem jeweiligen Risiko umgehen.
Positionshändler vertrauen auf ihr Gefühl und lassen die Muskeln spielen; sie denken langfristig. Sie halten eine Positionstunden-, tage- oder sogar wochenlang. Dabei stellen sie bestimmte Parameter auf und überprüfen die Tatsachen, Trends und Gerüchte, die ihre Entscheidungen beeinflusst haben, immer wieder, machen in der Regel aber nicht so viele Transaktionen – sie warten eher eine Änderung der Großwetterlage ab, als den Schwung einer einzelnen Welle mitzunehmen. Wenn sie richtig liegen, landen sie Volltreffer. Oft liegen sie falsch. Geld machen sie, indem sie der Devise folgen: »Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen.«
Daneben gibt es die Spread Trader. Die verlassen sich auf ihren Verstand, ihre Wendigkeit und ihre rechnerischen Fähigkeiten. Sie geben wenig darauf, ob der Markt generell gerade im Aufwind oder schwach ist, sie konzentrieren sich auf Unterschiede zwischen einzelnen Märkten und handeln entsprechend spontan, indem sie ein Papier verkaufen und gleichzeitig ein anderes kaufen. Der Gewinn pro Abschluss ist eher gering, dafür aber leichter vorherzusagen. Ein guter Spread Trader ist beweglich und schnell und holt in vielen kleinen Schritten große Erträge.
Day Trader oder Tageshändler profitieren von sehr kleinen Kursdifferenzen. Sie bauen auf eine Kombination aus Glück und der Fähigkeit, die psychologische Komponente des Marktes jederzeit richtig zu deuten. Wann flaut die Angst ab, wann ist es Zeit zu kaufen? Wann stößt die Gier an ihre Grenzen, so dass man lieber verkaufen sollte? Sie springen hinein und hinaus, nehmen Gewinne mit und machen weiter. Manchmal folgen sie einem Trend – aber höchstens einen Herzschlag lang. Die Disziplinierten unter ihnen machen nie einen einzelnen großen Gewinn, sondern sammeln kleine Erträge bei Hunderte von Trades ein. Sie hoffen immer auf eine Glückssträhne, bei der sie nichts falsch machen können; fühlen sie die gerade nicht, rühren sie keinen Finger.
Die Arrowhead -Trades passten zu keinem dieser Muster – oder zu jedem. Geoffrey Hochstadt hatte nie Verluste gemacht, sondern immer ins Schwarze getroffen. Wenn man nicht bereit war anzunehmen, dass ein Händler, der weder über eine eigene Research-Abteilung noch über viel Kapital verfügte und keinen Zugang zu speziellen Informationen hatte, in der Lage war, unzählige Trader in allen großen Häusern anhaltend auszutricksen, konnte man die Fakten nur so interpretieren, dass da ein weit verzweigter, systematischer Betrug lief, bei dem Hochstadt die Fäden gezogen hatte.
Ich schob den Silberpapier-Stick – bei dem es so ausgesehen hatte, als seien darauf nur verschlüsselte Daten gespeichert – in den Rechner und importierte die Buchstaben- und Zahlenkolonnen in die vorhandene Tabelle. Die Spalten ordneten sich neu; damit zeigte sich ein neues Muster. Ich hatte die Spur des Geldes gefunden. Nur wusste ich sie nicht zu deuten.
Es war beschämend zu erkennen, welches Geheimnis die erste Spalte enthalten hatte: Es waren schlichte Datumsangaben, nur nach europäischem Standard – zuerst der Tag, dann der Monat und dann die verkürzte Jahreszahl. Das hätte ich auf Anhieb erkennen müssen, statt eine halbe Stunde damit zu vergeuden, diese Zahlen mit denen in den anderen Spalten zu vergleichen.
Die nächste Erkenntnis konnte ich schon eher als Erfolg verbuchen: Die Spalte, die den Profit pro Trade zeigte, passte genau zu einer der gerade importierten. Hundertprozentige Übereinstimmung.
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