Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
darüber geredet, dass es nichts zu reden gab, entschied sich dann aber anders, drehte sich um und stolzierte davon.
»Warten Sie, Carmine. Eins nur, ja? Erzählen Sie mir von den Fahrten nach Atlantic City.«
Er nahm den Köder. Augenblicklich wirbelte er herum, und ging, die Fäuste geballt, auf mich los.
»Da gibt es nichts zu erzählen. Ich sag Ihnen doch, vergessen Sie den ganzen Scheiß!« Er atmete schwer und rang sichtlich um Fassung. »Wir haben gewürfelt. Black Jack gespielt. Gelacht. Das war’s. Und jetzt lassen Sie mich verdammt noch mal in Ruhe.« Seine Miene war zornig, seine Pose hart, aber seine Augen waren zwei dunkle Flecken Elend. Carmine war kein guter Lügner.
»Das nehme ich auf jeden Fall in meinen Bericht auf. Stockman soll doch wissen, wie hilfsbereit Sie waren.«
Einen Augenblick lang fürchtete ich, ich hätte es zu weit getrieben. Er hätte mir gern eine verpasst. Aber er tat es nicht.
Ich ließ ihn gehen. Vorerst. Mein Vater hat schon immer gesagt, ich hätte Menschenkenntnis.
Als ich die beiden Kaffeebecher auf den Tisch stellte, blickte Spud auf.
An ausgestreckten Fingern zählte er auf: »Bei den Hypotheken herrscht noch totales Chaos, aber ich konnte Sudhirs Chef das Versprechen abringen, dass Sie ihn am Freitag für eine Stunde kriegen. Elf Uhr dreißig, wenn Ihnen das recht ist.«
»Das ist sehr gut«, sagte ich.
Nun kam der Zeigefinger. »Lowell Barrington will, bevor er zusagt, wissen, worum es überhaupt geht. Ich rede noch mal mit ihm. Er will morgen Abend mit mir ein Bier trinken gehen.«
»Ist der Mann paranoid?«
Er zuckte die Achseln. »Irgendwie hat er sich ein bisschen nervös angehört. Carmine war nicht am Platz, als ich angerufen habe.« Der Mittelfinger passte hier ziemlich gut.
»Macht nichts. Wir haben uns gerade getroffen.«
»Ach ja? Wie war’s?«
»Carmine ist ein kleines Arschloch. Er lügt. Und er hat Angst. Ich lasse ihn ein Weilchen schmoren, und dann rede ich noch mal mit ihm.«
Der Ringfinger war dran. »Und.«
»Ja?«
»Gwendolyn aus Mr. Stockmans Büro hat angerufen. Sie haben um zehn Uhr dreißig einen Termin mit Jack Avery. Bei ihm im Büro.«
»Warum kommen die, die was von mir wollen, nicht einfach hierher? Wir könnten Nummern ausgeben wie bei Zabar’s .«
»Sie wissen, dass er ›Ironman‹ genannt wird? Er macht Triathlon. Und war schon mehrmals beim Around-Manhattan-Schwimm-Marathon dabei. Er ist nicht schnell, schwimmt aber wie ein Nilpferd. Ewig.«
»Nilpferde schwimmen eigentlich gar nicht«, korrigierte ich.
»Nicht?«
»Ich glaube, sie rennen eher unter Wasser. Das habe ich irgendwo gelesen. Außerdem sind sie sehr aggressiv. Sie töten mehr Menschen pro Jahr, als Löwen und Krokodile es tun.«
Es bestand immer noch eine Chance, dass Avery mich zu sehen wünschte, weil er sich entschuldigen und mir jede erdenkliche Hilfe anbieten wollte. Genauso, wie die Chance bestand, dass ich zu sehen bekam, wie ein Schwein auf meterbreiten Schwingen rund um das Gebäude schwebte. »Und wo finde ich unseren Eisenmann?«
»Oben im Neununddreißigsten.«
»Auf demselben Gang wie Stockman?«
»Nein. Leiter der Compliance bedeutet nicht Hafenblick.Sein Büro liegt in der entgegengesetzten Richtung – ganz hinten bei der Rechtsabteilung. Alles voller Anwälte da.«
Meine persönliche Vorstellung von Hölle.
Am Empfang saß eine geplagt dreinschauende Frau und telefonierte, als ich durch die Doppeltür kam.
»Avery?«, fragte ich leise.
Vage zeigte sie über ihre Schulter nach hinten.
Ich bedankte mich und betrat ein Labyrinth aus Bürozellen, in denen und um die herum Papier gestapelt war. Zu beiden Seiten des schmalen Ganges türmten sich Ordner und Kisten voller Akten und reduzierten den verbleibenden Raum so weit, dass ich praktisch seitwärts gehen musste. Es war, als sei ich plötzlich in eine Versammlung von Hamstern geraten.
Niemand lächelte. Sie erledigten ernste Aufgaben. Tippten ernst. Redeten ernst am Telefon. Kopierten ernst. Alle widmeten sich – als handele es sich um einen Kult – der Aufbewahrung und Vermehrung von Dokumenten. Mich beschlich, wieder einmal, mittelschwere Klaustrophobie.
Jack Avery hatte kein Fenster, aber immerhin einen kleinen Raum für sich, von der düsteren Umgebung abgeschirmt durch den – wenn auch verwaisten – Schreibtisch einer Sekretärin. Offenbar war er in diesem Gang der einzige Anwalt ohne Torhüterin. Ich schob den Kopf zur Tür hinein und klopfte leise. Er erhob sich,
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