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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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beschmutztes Kleid aus und suchte aus ihrer Tasche ein neues hervor, das aus hellgelber Baumwolle mit den winzigen, aufgestickten Blüten. Sie legte es über einen Stuhl, lockerte ihr Korsett und sank aufs Bett.
    Die Müdigkeit fuhr wie ein Beil auf sie nieder. Kurz versuchte sie, die Augen offen zu halten, aber die Wärme, all die neuen Eindrücke und die Erschöpfung der Reise forderten ihren Tribut.
    Und im Halbschlaf glaubte sie, Matthews Stimme zu hören.
    «So lernen wir uns also kennen.» Und leiser, ein Flüstern nur. «Audrey.»
    Sie lächelte im Schlaf.
     
    Als sie aufwachte, war die Luft im Zimmer stickig, und das sanfte Klopfen an der Tür setzte sich schmerzhaft in ihren Schläfen fest. «Audrey, meine Liebe?»
    Tante Rose.
    «Einen Moment, ich komme gleich.» Schwach setzte sie sich auf und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Vom Traum waren nur Fetzen geblieben. Sie hatte Matthews Blick auf sich gespürt in diesem Traum, und wären die drückenden Kopfschmerzen nicht gewesen, hätte sie das Lächeln aus dem Schlaf hinüberretten können.
    So streifte sie sich hastig das Kleid über den Kopf und stolperte zur Tür. «Kannst du mir helfen?», fragte sie leise, nachdem sie die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte.
    Tante Rose schob sich herein. Sie schnalzte ungehalten mit der Zunge. «Diese Hitze», klagte sie. «Bin ich froh, wenn wir morgen aufbrechen.»
    Audrey ließ sich von Tante Rose das Korsett wieder zuschnüren, dann ließ sie das Kleid darüberfallen. Es war hübsch, schmal und fließend, fast mädchenhaft.
    «So etwas wirst du bald nicht mehr tragen können.» Die kühlen Finger berührten flüchtig Audreys Nacken. «Warum nicht?», fragte sie atemlos. Was war falsch an diesem Kleid?
    «Wenn du verheiratet bist, wird es bestimmt nicht lange dauern, bis du guter Hoffnung bist. Aber keine Sorge, ich bin ja da. Ich lasse deine Kleider dann aus und nähe dir neue. Ob die Wilden hier dazu in der Lage sind, wage ich zu bezweifeln.»
    «Wir werden sehen», sagte Audrey vorsichtig. Die Vorstellung, Kinder zu bekommen, war ihr seltsam fremd.
    «Das wird schon, meine Liebe. Keine Angst. Nach der ersten Nacht tut’s auch nicht mehr weh.»
    Audrey schloss ergeben die Augen. Es gab Dinge, über die sie mit niemandem reden wollte – schon gar nicht mit Tante Rose, die in ihren Augen viel zu anständig war, um über solche Themen Bescheid zu wissen.
    «Ich fand’s ja immer sehr schön.» Rose ließ einfach nicht locker.
    Wie viele Knöpfe hatte dieses verdammte Kleid denn noch?, dachte Audrey verzweifelt. Hätte sie bloß ein anderes ausgesucht. Eines, das sie selbst schließen konnte. Oder einen Rock mit Bluse. Aber nein, sie hatte ja an diesem ersten Nachmittag für Matthew besonders schön aussehen wollen.
    «Nur schade, dass wir nicht gesegneten Leibs waren, also Reggie und ich.» Tante Rose kicherte albern. «Na, wohl eher ich.» Allmählich begann sich Audrey ernstlich Sorgen um sie zu machen. Hatte sie zu viel Sonne abbekommen oder schon so früh am Tag Champagner getrunken? Oder sogar beides zusammen?
    «Reggie hat sich immer Kinder gewünscht», fuhr Tante Rose unbeirrt fort. Ihre Hände verharrten mitten in der Bewegung, und Audrey hielt den Atem an. Irgendwie wusste sie, dass das, was Tante Rose jetzt sagte, wichtig war.
    «Darum war Matthew für uns immer wie unser eigener Sohn. Vor allem, nachdem seine Eltern bei diesem tragischen Unfall umgekommen sind …»
    Audrey erstarrte. «Unfall?», flüsterte sie. «Was für ein Unfall?»
    Sie hatte gedacht, genug über ihn zu wissen. Dass seine Eltern schon vor langer Zeit gestorben waren und dass er früh auf eigenen Beinen hatte stehen müssen. Er hatte sich rührend um seine jüngere Schwester gekümmert, die inzwischen verheiratet war und in Brighton lebte. Und dann war er nach Ostafrika gegangen, weil ihn in England nichts mehr hielt.
    Plötzlich begriff sie, dass sie nichts über ihn wusste. Absolut nichts. Er war gezeichnet wie sie, und es kam ihr falsch vor, ihn jetzt noch zu heiraten. Sie war eine Verräterin, und er konnte unmöglich mit ihr glücklich werden.
    Nicht, wenn sie ihm ihre gesamte Vergangenheit enthüllte.
    «Ja, eine traurige Sache.» Rose schloss die letzten Knöpfe. «Seine Eltern waren so abenteuerlustig. Du hättest sie gemocht, und sie dich bestimmt ebenfalls. Nun ja, es geschah vor elf Jahren bei einer Bergtour in Schottland. Man sollte meinen, dass Schottland nicht gefährlicher ist als eine Bootsfahrt auf The

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