Am Grund des Sees
denken Sie über den Tod des Bürgermeisters Pellanda?«
Calgari lächelte.
»Haben wir eine Wette laufen, wer mehr Fragen stellt?«
»Signor Calgari.« Contini presste die Lippen zusammen. »Die Sache ist ernst. Jemand könnte Pellanda aus Gründen, die mit dem Stausee und der Beschwerde zu tun haben, aus dem Weg geräumt haben.«
»Jemand, der zu meinen Mandanten zählt, nehme ich an.«
Contini gab keine Antwort.
»Ja, sicher.« Der Anwalt fuhr mit seinem Stuhl ein Stück zurück und starrte dem Detektiv in die Augen. »Gesetzt den Fall, an Ihrer Vermutung ist was dran, und jemand will tatsächlich aus irgendeinem Grund die Befürworter der Stauseeerweiterung umbringen. Dann frage ich Sie: Wer ist der andere große Verfechter des Projekts, derjenige, der sich zusammen mit dem Bürgermeister in besonderer Weise dafür eingesetzt hat?«
»Der Ingenieur Vassalli«, murmelte Contini.
»Nur mal angenommen, es läuft ein Irrer frei herum«, fuhr Calgari in vertraulichem Ton fort, »wissen Sie, was ich an Ihrer Stelle täte? Ich behielte den Ingenieur Vassalli im Auge.«
In dem folgenden Schweigen sahen der Anwalt und der Detektiv einander an, und jeder las im Gesicht des anderen den Schatten eines Zweifels. Kann da was dran sein? Kann es sein, dass tatsächlich nach so vielen Jahren der zweite Akt des Dramas um den Staudamm von Malvaglia begonnen hat?
10
Fasnacht
Zur Abwechslung arbeite ich momentan nicht für Geld. Das kann natürlich nicht anders sein, schließlich geht es um meinen Vater. Habe ich Ihnen übrigens gesagt, dass mich Finzi dafür bezahlen wollte, dass ich Nachforschungen über Pellandas Tod anstelle? Welche Rolle er bei der ganzen Sache spielt, ist mir noch völlig schleierhaft.
Ich hatte die Hoffnung, der Rechtsanwalt Calgari könnte mir beispringen, aber es steht fest, dass er keine Risiken eingehen will: Er beschränkt sich drauf, Zuschauer zu bleiben, und hat sich geweigert, mir die Namen der Beschwerdeführer zu nennen. So oder so dürfte es nicht allzu schwierig sein, sie herauszufinden, wenn ich mich in Malvaglia ein bisschen umhöre. Dann der Brief der alten Desolina. Sie ist keine, die Hirngespinsten aufsitzt: Wenn sie extra ins Flugzeug steigt und von Spanien herkommt, dann hat sie mir wirklich was Wichtiges zu sagen.
Ich weiß nicht mehr viel von der Zeit, nachdem mein Vater verschwunden war. Man ging sich den See anschauen und die Stelle, wo bis dahin unser Haus gestanden hatte. Die Leute musterten mich verstohlen und hatten Mitleid, weil sich mein Vater aus dem Staub gemacht hatte. Und Desolina sagte: Er kommt bestimmt wieder. Und die Polizei wollte wissen, ob Martignoni regelmäßiger Gast bei uns zu Hause war, bevor er verschwand. Martignoni war Finzis Teilhaber, und es ging wohl um ziemlich viel Kohle. Ich frag mich, wieso Finzi so heiß drauf ist, mir ein Honorar zu zahlen.
Ich weiß nicht mehr, ob ich in der Vergangenheit oder in der Gegenwart ermitteln soll. Pellandas Tod zum Beispiel. War das ein Geistesgestörter, wie manche behaupten, oder hat es was mit Finzi und den Vorfällen damals zu tun? Und vor allem: Bleibt es bei diesem einen Tod?
Bellinzona ist die Hauptstadt des Kantons Tessin. Ruhig, ein wenig würdevoll, ähnelt sie einer Dame mittleren Alters, über die getuschelt wird, sie sei in ihrer Jugend eine ganz Wilde gewesen. Die drei Burgen, porphyrgepflasterte Plätze, Regierungsämter, eine gesetzte Bourgeoisie aus Anwälten und Verwaltungsangestellten.
Wie passt da die Fasnacht hinein?
Kaum zu glauben, aber wahr - während der alkoholgetränkten Wilden Tage der Fasnacht sind die als Zorro oder Schimpansen verkleideten Bewohner der Hauptstadt mächtig stolz auf ihre Stadt.
Weil sich Jahr für Jahr im Karneval eine Flut von Menschen über die Altstadt ergießt, finden am Eingang des närrischen Viertels scharfe Kontrollen statt. Der Ingenieur Sandro Vassalli und die übrigen Mitglieder der Spacatesta-Band hatten ihre Autos außerhalb in einem Schulhof abgestellt und sich zu Fuß in die »Città del Carnevale« aufgemacht, wo sie zuerst die Durchsuchung durch Sicherheitsleute über sich ergehen lassen mussten.
Es war Samstagabend, elf Uhr. Die heiße Phase begann.
Unter dem Transparent des Eingangs schritten Bären, Mönche, Supermen, ein Zug Kaninchen und drei Beduinen hindurch. Vassalli, der in der Warteschlange stand, sah eine Konfettiwolke auf Schneewittchens böse Stiefmutter regnen, und aus einer Ecke schlich sich der Rosarote Panther an Jack the
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